Die Jagd am Nil
schauen, wie gut sie in die Erkenntnisse hineinpasst. Jede andere Vorgehensweise wäre parteiisch. Und wissen Sie was?»
«Was?»
«Wenn man so vorgeht, fällt die Bibel auseinander, besonders die frühen Bücher. Es gibt keinerlei Beweise dafür, dass die Geschichten darin auf irgendeine Weise wahr sind. Es gibt keine Beweise dafür, dass die Juden zur Zeit von Echnaton als eigenständige Volksgruppe existierten oder dass sie in großer Zahl in Ägypten lebten oder dass sie das Land in einer Art Massenexodus verließen.»
Staffords Wangen waren durch eine Mischung aus Alkohol und Trotz rot geworden. «Und woher stammten dann diese Geschichten?»
«Wer kann das sagen? Manche sind eindeutig von anderen, älteren Kulturen übernommen worden. Zum Beispiel kann man unschwer Spuren aus der mesopotamischen Überlieferung des Gilgamesch-Epos erkennen. Andere scheinen Variationen der immergleichen Geschichte zu sein, vermutlich weil die Autoren der Bibel ihre moralische Botschaft deutlich machen wollten. Der Mensch gelobt Gott ewige Treue. Der Mensch bricht das Gelöbnis. Gott bestraft den Menschen. Immer wieder das gleiche Motiv. Adam und Eva werden aus dem Garten Eden vertrieben. Kain wird für den Mord an Abel verstoßen. Lots Frau erstarrt zu Salz. Abraham flieht aus Ägypten. Babel. Noah. Isaak. Jakob. Die Liste ist unendlich. Weil es nichts mit Historie zu tun hat. Es ist
Propaganda
. Religiöse Propaganda, genauer gesagt, die zusammengestellt wurde, nachdem die Juden von den Babyloniern besiegt worden waren. Sie sollte sie davon überzeugen, dass sie sich ihren Zerfall und ihr Exil selbst zuzuschreiben hatten, weil es ihnen an Gottesehrfurcht gemangelt hat.» Sie hielt einen Moment inne, trank einen Schluck Wasser, um Lippen und Kehle zu befeuchten, und rang sich ein Lächeln ab, damit die Spannung etwas nachließ. «Wissen Sie was?», fragte sie. «Jedes Mal, wenn Historiker volkstümliche Berichte anhand der bekannten Geschichte überprüfen konnten, entdeckten sie, was zu erwarten war: Dass sie sich für Ereignisse der jüngeren Vergangenheit als recht genau erweisen, aber immer unverlässlicher werden, je weiter man zurückgeht, bis sie schließlich so gut wie nichts mehr mit der Realität zu tun haben. Mit einer Ausnahme. In Gründungsmythen steckt normalerweise ein Fünkchen Wahrheit. Mit dieser Erkenntnis sollte man auch die Geschichte der Juden betrachten. Ihr Gründungsmythosist eindeutig der Exodus. Die gesamte Bibel ist darauf aufgebaut. Deshalb bin ich bereit, die historische Tatsache einer Art Flucht aus Ägypten zu akzeptieren. Das Problem ist nur, dass während des zweiten Jahrtausends vor Christus nachweislich nur die Hyksos aus Ägypten vertrieben wurden. Doch der Exodus der Hyksos fand ganze zwei Jahrhunderte vor Amarna statt. Wie kann es also sein, dass die von Ihnen erwähnte Massenflucht keine Auswirkung gehabt hat? Wir sprechen ja nicht nur von ein paar hundert Menschen. Auch nicht von ein paar tausend. Laut der Bibel haben wir es mit
über der Hälfte
der ägyptischen Bevölkerung zu tun. Selbst wenn man von einer massiven Übertreibung ausgeht, wird diesen Exodus doch jemand bemerkt haben müssen, oder nicht, Mister Stafford? Wissen Sie, dass es eine Stele gibt, die von der Flucht zweier Sklaven aus Ägypten nach Kanaan berichtet?
Zwei!
Und Sie wollen uns glauben machen, dass sich
Zehntausende
nützlicher Handwerker erhoben haben und verschwunden sind, ohne dass jemand ein Wort gesagt hätte. Glauben Sie nicht, dass man irgendwelche Spuren ihres vierzigjährigen Aufenthalts auf dem Sinai gefunden hätte? Irgendetwas? Archäologen haben Siedlungen aus vordynastischen Zeiten, aus dynastischen Zeiten, aus griechisch-römischen und islamischen Epochen gefunden. Aber vom Exodus? Nichts. Nicht eine Münze, nicht eine Tonscherbe, nicht ein Grab, nicht ein Lagerfeuer. Und das liegt nicht daran, dass zu wenig gesucht wurde, glauben Sie mir.»
«Das Fehlen eines Beweises für ein Ereignis ist kein Beweis für das Fehlen eines Ereignisses», stellte Stafford fest.
«Doch, das ist es», entgegnete Fatima. «Genau das ist es. Wenn die Hebräer eine bedeutende Zeit hier gelebt hätten, hätten sie Spuren hinterlassen. Keine Spuren bedeutet, keine Hebräer. Jede andere Argumentation wäre schlicht falsch. Und wo wir Beweise finden, widersprechen sie rundweg den Bibeltexten. Sie haben Jerichoerwähnt, die Stadt, die durch Josuas Trompeten gefallen ist. Wenn Ihre These korrekt ist, müsste es Hinweise auf
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