Die Jagd beginnt
günstigsten Fall haben sie nur wenige Stunden Vorsprung. Wenn wir schnell reiten …« Plötzlich bemerkte er, dass die anderen ihn alle ansahen: Verin und Ingtar, Mat und Perrin. Ihm wurde klar, was er getan hatte, und seine Wangen liefen rot an. »Es tut mir Leid, Ingtar. Ich habe mich nun mal daran gewöhnt, das Kommando zu führen, schätze ich. Ich versuche nicht, Euren Platz einzunehmen.«
Ingtar nickte bedächtig. »Moiraine hat eine gute Wahl getroffen, als sie Lord Agelmar bat, Euch zu meinem Stellvertreter zu ernennen. Vielleicht wäre es besser gewesen, die Amyrlin hätte Euch das Kommando übergeben.« Der Shienarer lachte kurz auf. »Zumindest habt Ihr es tatsächlich fertig gebracht, das Horn zu berühren.«
Danach ritten sie schweigend weiter.
Der Große Baum hätte ein Zwilling des Verteidigers der Drachenmauer sein können. Das Gebäude sah wie ein hoher Steinwürfel aus, und der Schankraum war mit dunklem Holz vertäfelt ausgestattet und mit viel Silber geschmückt. Auf dem Kaminsims stand eine große, matt schimmernde Uhr. Die Wirtin hätte Cuales Schwester sein können. Die Meisterin Tiedra war genauso mollig und hatte ein paar derselben unbewussten Angewohnheiten – und den gleichen durchdringenden Blick; dieselbe Art, auf Dinge zu hören, die unausgesprochen im Raum hingen. Aber Tiedra kannte Verin, und das Lächeln, das sie der Aes Sedai zur Begrüßung schenkte, wirkte warm und herzlich. Sie erwähnte die Bezeichnung Aes Sedai nicht, aber Rand war sicher, dass sie Bescheid wusste.
Tiedra und ein Schwarm von Dienern kümmerten sich um ihre Pferde und zeigten ihnen dann ihre Zimmer. Rands Zimmer war genauso schön wie das verbrannte, aber er interessierte sich vor allem für die große kupferne Badewanne, die von zwei Dienern durch die Tür gezwängt wurde. Küchenmädchen brachten anschließend Eimer dampfenden Wassers von der Küche hoch. Ein Blick in den Spiegel über dem Waschtisch zeigte ihm ein Gesicht, das aussah, als habe man es mit Holzkohle geschrubbt. Sein Mantel wies auf der roten Wolle Rußflecken auf.
Er zog sich aus und stieg in die Wanne. Dort dachte er genauso lange nach, wie er sich wusch. Verin war hier. Eine der drei Aes Sedai, bei denen er darauf vertrauen konnte, dass sie ihn weder selbst einer Dämpfung unterziehen noch ihn jenen übergeben würden, die das tun würden. Jedenfalls schien es ihm so. Eine der drei, die ihm weismachen wollten, er sei der Wiedergeborene Drache, oder die ihn als falschen Drachen benützen wollten. Sie ist das Auge Moiraines, das mich beobachtet, Moiraines Hand, die an meinen Fäden zieht. Aber ich habe die Fäden durchtrennt. Seine Satteltaschen waren hochgebracht worden, zusammen mit einem Bündel frischer Kleidung aus der Ladung des Packpferds. Er trocknete sich ab und öffnete das Bündel. Dann seufzte er. Er hatte vergessen gehabt, dass alle anderen Mäntel genauso reich verziert waren wie der, den er achtlos über eine Stuhllehne geworfen hatte, damit ihn eines der Mädchen säuberte. Nach kurzem Zögern wählte er den schwarzen Mantel aus, dessen Farbe seiner Stimmung entsprach. Silberne Reiher hingen an seinem Stehkragen, und die Ärmel waren mit silbernen Wasserfällen geschmückt – Wasser, das an den gezackten Felsen als Gischt brodelte.
Als er die Sachen aus seinem alten Mantel in den neuen steckte, stieß er auf die Einladungen. Abwesend steckte er sie in die Tasche, während er Selenes beide Briefe betrachtete. Er fragte sich, warum er sich so närrisch benommen hatte. Sie war die schöne, junge Tochter eines Adelshauses. Er war ein Schäfer, den die Aes Sedai zu benützen versuchten; ein Mann, der dazu verdammt war, wahnsinnig zu werden, falls er nicht vorher starb. Und doch konnte er ihre Anziehungskraft selbst aus ihrer Schrift heraus spüren, konnte beinahe ihr Parfüm riechen.
»Ich bin Schäfer«, erzählte er den Briefen, »und kein großer Mann, und wenn ich mal irgendwann heiraten sollte, dann Egwene. Aber sie will Aes Sedai werden, und wie kann ich überhaupt eine Frau heiraten, eine Frau lieben, wenn ich verrückt werde und sie vielleicht umbringe?«
Worte konnten den Eindruck von Selenes Schönheit nicht mindern oder die Art, wie sie sein Blut zum Sieden brachte, wenn sie ihn nur anblickte. Es schien ihm fast, als befände sie sich bei ihm im Zimmer, als röche er ihr Parfüm wirklich. Er sah sich rasch um und lachte dann über seine närrische Anwandlung. Er war allein.
»Ich habe schon Einbildungen, als
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