Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)

dem nur Dr. Gutzkow wusste – und das auch nur, weil sie nun einmal eine Verbündete in der Gerichtsmedizin gebraucht hatte, um ihren Plan in die Tat umsetzen zu können.
    Aber Dr. Gutzkow war ein prima Kerl und würde unter Garantie nichts verraten.
    Es war ein hübsches Kleid, bodenlang und hochgeschlossen. Nicht direkt himmelblau, denn so eine Farbe war wahrscheinlich nirgends zu bekommen, aber es war ein Kleid ganz allein für Lilli Dahl, und es war leuchtend blau.
    Winnie wässerte die Rose so kräftig, dass die lockere Erde schmatzte, und sah wieder den Stein an. Schlichter grauer Basalt mit einem Loch in Form eines Schmetterlings in der linken oberen Ecke.
     
    Hier ruhen in Gott
    Jasper Horatio Fennrich
    * 17.05.1931
    † 26.07.2007
    und Lilli Fennrich
    * 27.11.1958
    † 24.07.2007
     
     
    Das Ende einer eigentümlichen Liebesgeschichte, dachte sie. Eine von diesen Storys, bei denen man nicht sicher ist, ob man weinen soll oder sich vielleicht doch auch daran freuen darf.
    Vielleicht ist es nicht richtig, sie hier zu beerdigen, überlegte sie, als sie zu ihrem Wagen zurückging. Bei ihren Opfern.
    Und doch …
    Tote Kinder, tote Seelen, wer wollte, wer konnte da einen Unterschied machen?
    Darüber, wie es mit Lilli Dahl und Jasper Fennrich weiterging, sollten andere entscheiden, „die da oben“, wie ihre Großmutter es immer ausgedrückt hatte. Sie hatte nur gewollt, dass sie gut lagen, und das, fand sie, hatte sie erreicht.
    Wieder zu Hause packte sie als erstes den Kassettenrekorder aus, den sie in einem Second-Hand-Laden erstanden hatte. Es war ganz und gar nicht leicht gewesen, überhaupt noch einen zu bekommen. Kassettenrekorder schienen buchstäblich in ein anderes Jahrhundert zu gehören. Winnie erinnerte sich noch gut an das sperrige braune Gerät, das sie als Kind besessen und auf dem sie massenweise Hörspielkassetten gehört hatte. Kinderkrimis zumeist.
    „Oh, Mann, ja“, murmelte sie, indem sie den Netzstecker in die Steckdose unter dem Herd wuchtete. „Justus, Peter und Bob aus Rocky Beach!“
    Als sie die Kassette einlegte, bemerkte sie, dass ihre Hände zitterten.
    Sie müssen sich Ihrem Schmerz stellen , ermutigte sie ein imaginärer Dr. Zilcher mit einer altbekannten Weisheit.
    „Also dann“, flüsterte Winnie und drückte beherzt auf die Play-Taste.
    Das Band rauschte und knackte. Dann erklang Musik. Das Prel ude von Chopin. Opus 28, Nr. 17 in As-Dur, zwei Minuten und neunundvierzig Sekunden lang.
    Elli hatte ihre Auswahl mit Verstand gegliedert. Auf den Chopin folgte ein Grieg. For dine fötter aus den Lyrischen Stücken. Winnie lauschte den leidenschaftlichen Linien und schmunzelte, als sie entdeckte, dass ihre Schwester die deutsche Übersetzung in Klammern neben den norwegischen Titel geschrieben hatte: Zu deinen Füßen …
    „Das fandest du eleganter, nicht wahr?“, flüsterte sie, indem sie sich auf den Hocker vor ihrem Aquarium setzte.
    Zu ihrer Überraschung erfüllte sie die Musik mit einer Mischung aus Stolz und Rührung, ein angenehm mildes und nur ganz entfernt schmerzliches Gefühl, und ihr kam der Gedanke, dass an der alten Weisheit, die Zeit heile alle Wunden, vielleicht doch ein Körnchen Wahrheit stecke. Definitiv etwas, worauf sie hoffen musste …
    „Hört ihr das, Jungs?“, fragte sie in Richtung ihrer Fische, als wenig später der fulminante Abschied aus den Waldszenen ihr kleines Reich erfüllte. „Das hat meine kleine Schwester ganz allein für mich aufgenommen. Und, hey … Auch wenn ihr nichts von Musik versteht, müsst ihr zugeben, dass sie richtig begabt gewesen ist …“ Sie hielt inne und schüttelte sinnend den Kopf. „Oh ja“, wiederholte sie leise. „So verdammt begabt …“