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Die Jahre des Schwarzen Todes

Die Jahre des Schwarzen Todes

Titel: Die Jahre des Schwarzen Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willis Connie
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kroch auf den Knien, auf den linken Arm wie auf eine Krücke gestützt, an seinen Beinen vorbei zu ihm. Die Anstrengung verlangte tiefere Atemzüge, und jeder von ihnen durchbohrte ihre Seite mit einem Stich. »Es ist schon gut«, flüsterte sie. »Ich komme.«
    Beim Klang ihrer Stimme zog er wieder krampfhaft die Beine an, und sie hielt sich vorsichtig zwischen ihm und der Wand, außer Reichweite. Er hatte eine der Kerzen umgestoßen, die brennend in einer kleinen gelben Wachspfütze lag. Kivrin stellte sie aufrecht, dann legte sie ihm eine Hand auf die Schulter. »Es ist schon gut. Ich bin da«, sagte sie.
    Er hörte auf zu schreien und lag still, die Augen halb geöffnet, und sein Atem röchelte durch zusammengebissene Zähne. »Es tut mir leid«, sagte sie, über ihn bebeugt. »Ich wollte dir keine Schmerzen bereiten. Ich versuchte die Beule aufzuschneiden.«
    Er zog die Knie noch krampfhafter an sich. Kivrin hob eine Kerze auf und hielt sie so, daß ihr Schein die im Schatten des angezogenen Schenkels liegende Leistengegend beleuchtete. Die Pestbeule war schwarz und hart; sie hatte sie nicht einmal angeritzt. Sie hob die Kerze höher und hielt Ausschau nach dem Messer. Es mußte in der Richtung des Sarkophags liegen. Sie streckte die Hand mit der Kerze dorthin aus und erwartete ein metallisches Glänzen zu sehen, doch vergebens.
    Sie machte vorsichtig Anstalten, aufzustehen, auf der Hut vor dem Schmerz, aber mitten in der Bewegung stach er zu, und sie schrie auf und krümmte sich vornüber.
    »W-was gibt es?« murmelte Pater Roche. Er schien Schwierigkeiten zu haben, den Kopf seitwärts zu drehen, und aus seinem Mundwinkel rann etwas Blut. Seine Augen waren offen. »Habe ich dir Schmerzen zugefügt?«
    »Nein«, sagte sie, ließ sich wieder auf die Knie sinken. »Nein. Du hast mir keine Schmerzen zugefügt.« Sie wischte ihm den Mund mit dem ledernen Ärmel ihres Wamses.
    »Du mußt«, sagte er, und als er den Mund öffnete, kam mehr Blut heraus. Er schluckte. »Du mußt die Sterbegebete sprechen.«
    »Du wirst nicht sterben.« Wieder wischte sie ihm Mund und Kinn. »Aber ich muß die Beule aufschneiden, bevor sie platzt.«
    »Tu es nicht«, sagte er, und sie wußte nicht, ob er meinte, sie solle die Pestbeule nicht aufschneiden oder nicht gehen. Er biß die Zähne zusammen, daß sie knirschten, und Blut sickerte zwischen ihnen hervor. Sie ließ sich vorsichtig auf die Fersen zurücksinken und nahm seinen Kopf auf den Schoß.
    »Requiem aeternam dona eis«, sagte er mit gurgelnder Stimme, »et lux perpetua lucent eis.«
    Sie stützte seinen Kopf höher ab, indem sie eine zusammengelegte Decke unterschob, wischte ihm wieder Mund und Kinn mit dem mittlerweile blutgetränkten Streifen vom Altartuch. »Tu es nicht«, sagte er.
    »Gut«, sagte sie. »Ich bleibe bei dir.«
    »Bete für mich«, sagte er und versuchte die Hände vor der Brust zu falten. »Requ… « Seine Stimme erstickte in einem Gurgeln.
    »Requiem aeternam«, sagte Kivrin. Sie faltete die Hände. »Requiem aeternam dona eis, Domine.«
    »Et lux… «, sagte er.
    Die Kerze neben Kivrin erlosch, und der Duft von verbranntem Wachs breitete sich aus. Auch die anderen Lichter waren bis auf eine von Imeynes Wachskerzen ausgegangen, und auch diese war beinahe heruntergebrannt.
    »Et lux perpetua…« , sagte Kivrin.
    »… lucent eis«, sagte Pater Roche. Er hielt inne und versuchte sich die blutigen Lippen zu befeuchten. Seine Zunge war geschwollen und steif. »Requiescat in pace.« Er schluckte wieder und schloß die Augen.
    »Amen«, sagte sie. »Laß ihn nicht noch mehr leiden«, setzte sie flüsternd hinzu. »Bitte. Es ist nicht gerecht.«
    »Anima ejus et animae omnium fidelium defunctorum per misericordian Dei requiscant in pace«, murmelte er angestrengt.
    »Amen.« Sie machte für ihn das Kreuzzeichen.
    »In den letzten Tagen …«, sagte er undeutlich, behindert durch die geschwollene Zunge.
    Sie beugte sich näher.
    »…fürchtete ich, daß Gott uns ganz verlassen würde.«
    Und das hat Er getan, dachte sie. Sie wischte ihm Mund und Kinn mit dem Zipfel ihres Wamses. Das hat Er getan.
    Er schluckte wieder. »Aber in Seiner großen Barmherzigkeit hat Er es nicht getan, sondern sandte Seine Heilige zu uns.«
    Er hob den Kopf und hustete, und ein Blutsturz übergoß seine Brust und ihre Knie. Unfähig, den Blutfluß aufzuhalten, hielt sie ihm verzweifelt den Kopf hoch und bemühte sich, das Blut wegzuwischen, konnte aber durch ihre Tränen kaum

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