Die Jahre mit Laura Diaz
ging mit dem Mulattenmädchen, das Meßbuch in beiden Händen, zum Gottesdienst, später mit drei weiteren Töchtern, das Meßbuch in nur einer Hand, stolz auf ihre vierfache Mutterschaft und gleichgültig gegenüber dem Geraune, der Verwunderung und allem üblen Gerede. Böse Zungen behaupteten nämlich, der Protz von Papantla sei Marias Vater, was allerdings schwierig zu erklären gewesen wäre, weil der Bandit ein Kreole, Dona Cosima eine Deutsche und Maria de la O eine Terzeronin war.
Maria de la O war ihrer ältesten Schwester Hilda sieben Jahre, Virginia acht und Leticia zehn Jahre voraus, sie war ein Mulattenkind mit anmutigen Gesichtszügen, lächelte gern und hielt sich kerzengerade. Cosima sagte, als sie die Kleine aufgenommen habe, sei sie geduckt und zusammengekrümmt gegangen wie ein geprügeltes, vernachlässigtes kleines Tierchen, mit schwarzen Augen, die von noch schwärzeren Visionen heimgesucht wurden, doch sie, Cosima Reiter, verehelichte Kelsen, die aus Willen und Vernunft nun ihre Mutter war, zögerte nicht lange, sondern lehrte Maria de la O, wie man sich gerade hielt. »Leg dir dieses Wörterbuch auf den Kopf und lauf zu mir, ohne daß es herunterfällt. Paß gut auf.«
Sie brachte ihr bei, ein Eßbesteck zu benutzen und sich sauberzuhalten, zog ihr wunderschöne, gestärkte weiße Kleider an, die einen lebhaften Kontrast zu ihrer braunen Haut bildeten. Sie nötigte sie, eine Seidenschleife im Haar zu tragen, das nicht kraus war wie das der Mutter, sondern glatt wie das ihres Vaters Philipp.
»Dich würde ich mit nach Deutschland nehmen«, sagte Cosima stolz. »Da würdest du sicher auffallen.«
Sie ging in die Kirche und erklärte Pater Morales, sie bekomme ein Kind und dann wenigstens noch zwei weitere.
»Ich will nicht, daß sich eines meiner Kinder für seine Schwester schämt. Ich will, daß die neuen Kelsen zur Welt kommen und eine Kelsen vorfinden, die anders, besser ist als sie.«
Sie legte eine Hand auf die Schleife Marias.
»Taufen Sie das Mädchen, firmen Sie es, erteilen Sie ihm Ihren Segen, und beten Sie um Gottes willen für seine Ehrbarkeit.«
Sie zögerte einen Augenblick und fügte dann hinzu: »Daß sie uns keine Hure wird.«
Pfarrer Don Jesus Morales war ein herzensguter Mensch, aber keine Knechtsseele, und alles, was er tat – bei seinen Predigten, in seinen privaten Plauderrunden oder durch seine Beichten –, begünstigte und pries das christliche Verhalten der zum römischen Katholizismus bekehrten Dona Cosima Reiter, der verehelichten Kelsen.
»Meine Damen, ruinieren Sie mir nicht die Triumphe des Glaubens und der Barmherzigkeit. Benehmen Sie sich ordentlich, zum Donnerwetter.«
Pfarrer Jesus Morales liebte seine Herde. Sein Nachfolger Elzevir Almonte wollte sie ändern. Die Finger, die Großmutter Cosima fehlten, hatte der Pfarrer zuviel, und er gestikulierte mit ihnen, um zu ermahnen, zu geißeln, zu verurteilen. Seine Predigten brachten die dünne, erstickende, unerträgliche und unverträgliche Luft der Hochebene in die Tropen. Die Leute zählten die Verbote auf, die der düstere junge Pfarrer Almonte von der Kanzel herab verkündete: Schluß mit offenen Hemden, welche die weiblichen Formen zeigen, vor allem, wenn es regnet und sie am Körper kleben, vonnöten ist sittsame Unterwäsche und ein vorschriftsmäßiger Regenschirm, Schluß mit Unanständigkeiten und Gemeinheiten – obwohl ich kein Stadtrat oder Richter bin, fälle ich das Urteil, wer schlimme Worte sagt, dessen gotteslästerlicher Mund wird nicht den heiligen Leib des Erlösers empfangen, das liegt in meinem Ermessen, ab jetzt gibt es keine Serenaden mehr, die sind nur ein Vorwand für nächtlichen Überschwang und eine Störung der christlichen Ruhe, die Bordelle werden geschlossen, ebenso die Kneipen, und aus moralischen Gründen wird eine Ausgangssperre ab neun Uhr abends angeordnet, ob die Behörden das bestätigen oder nicht, aber natürlich werden sie das tun, wie auch nicht, jawohl, von nun an sagt man »die, mit denen ich laufe«, und nicht »Beine«, man sagt »das, womit ich mich setze«, und nicht…
Das alles verkündete der neue Pfarrer mit seinen einstudierten, lächerlichen und anmaßenden Gesten, als wollte er seine kategorischen Verbote plastisch darstellen. Die Bordelle zogen nach Santiago Tuxtla und die Kneipen nach San Andres, die Harfenspieler und Gitarristen setzten sich nach Boca del Rio ab, Trostlosigkeit brach wie eine Plage über die Geschäftsleute des Ortes
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