Die Jahre mit Laura Diaz
herein, und die Art, wie Pater Almonte die Beichte abnahm, machte das Maß voll.
»Mädchen, besiehst du dich nackt im Spiegel?«
Felipe warf Cosima nicht ihren neuen Glauben vor. Wenn sie sonntags von der Messe zurückkam, blickte er sie lediglich unverwandt an, und zum erstenmal senkte sie den stolzen Kopf.
»Faßt du dich heimlich an, Mädchen?«
Laura betrachtete sich nackt im Spiegel und wunderte sich nicht, zu sehen, was sie immer gesehen hatte. Dennoch glaubte sie, der Pfarrer hätte etwas Fremdes in ihren Körper gepflanzt, eine Blume in den Nabel oder eine Spinne zwischen die Beine, wie sie sie bei ihren Tanten gesehen hatte, wenn sie an einem einsamen Flußufer badeten, das sie aber nicht mehr aufsuchten, seit Pfarrer Almonte damit begonnen hatte, Verdächtigungen auszustreuen.
»Würde es dir gefallen, das Geschlecht deines Vaters zu sehen, Kleines?«
Um festzustellen, ob etwas passierte, wiederholte Laura vor dem Spiegel die sonderbaren Bewegungen und noch ungewöhnlicheren Worte des Herrn Pfarrers. Sie ahmte die Stimme des Priesters nach und ließ sie noch schwülstiger klingen: »Eine Frau ist ein über einer Kloake errichteter Tempel. Hast du deinen Vater nackt gesehen?«
Ihren Vater Fernando Dïaz sah Laura fast nie, weder angezogen noch nackt. Er war Buchhalter in einer Bank, und er lebte mit einem sechzehnjährigen Sohn aus früherer Ehe in Veracruz. Nachdem seine erste Frau Elisa Obregõn bei der Entbindung gestorben war, hatte sich Fernando in die blutjunge Leticia Kelsen verliebt, während eines Besuchs der Fiestas von Tlacotalpan. Auch Leticia verliebte sich in den sonderbaren Veracruzaner, der stets Jacke, Weste, Krawatte und Krawattennadel trug und dessen einziges Zugeständnis an die Hitze ein runder Strohhut war, den die Engländer straw boater nannten, bemerkte Tante Virginia, womit sie den anglophilen Bewerber um die Hand ihrer Schwester beeindruckte. Die Großeltern Kelsen, die sich auf brieflichem Wege die Ehe versprochen hatten, waren mit dem love match, wie Señor Dïaz seine Liebesheirat nachdrücklich nannte, einverstanden. Señor Dïaz las englische Bücher und war überhaupt von der englischen Kultur begeistert, was Felipe Kelsen für recht hilfreich hielt, um den deutschen Einfluß in seiner Familie weiter zurückzudrängen. Der Vereinbarung, getrennt zu leben, stimmte Leticia zu, und als Laura zur Welt kam, freute sich Großvater Felipe aufrichtig, daß seine Tochter und seine Enkelin unter seiner Obhut auf dem Lande lebten und nicht, so sagte er Zu Cosima, in der Ferne, im lauten und vielleicht äußerst sündhaften Hafen, wie böse Zungen behaupteten. Sie sah ihn ironisch an. Ein kleines Dorf…
Fernando Dïaz hatte seine neue Familie, zuerst Leticia und später Laura, die nach genau neun Monaten zur Welt gekommen war, um etwas gebeten: »Noch kann ich euch nicht das geben, was ihr verdient. Laßt es euch in Don Felipes Haus gutgehen. In Catemaco würde ich es nie weiter als bis zum Buchhalter bringen. In Veracruz kann ich aufsteigen, dann lasse ich euch holen. Von deinem Vater will ich keine Almosen und von deinen Schwestern kein Mitleid. Ich bin kein Schmarotzer.«
Tatsächlich wurden die Jungvermählten im Haus der Kelsens in Catemaco als solche betrachtet, und alle atmeten erleichtert auf, als Fernando Dïaz seinen Entschluß faßte.
»Warum besucht uns dein Sohn Santiago nie?« fragten ihn die unverheirateten Schwestern.
»Er studiert«, antwortete Fernando kurz angebunden.
Laura Dïaz brannte darauf, mehr darüber zu erfahren, wie sich ihre Eltern kennengelernt, wie sie geheiratet hatten, wer dieser geheimnisvolle ältere Halbbruder war, der das Recht hatte, mit seinem Vater in der Hafenstadt zu leben. Wann würden sie alle zusammenziehen? Aus gutem Grund war ihre Mutter so rührig, als beschäftigte sie sich mit zwei Haushalten zugleich, dem ihres anwesenden Vaters und dem ihres abwesenden Ehemanns, als kochte sie für die Leute dort und auch für die hier. Ja, die Einsamkeit von Mutter und Tochter durchdrang immer mehr das ganze Haus und übertrug sich auf die drei unverheirateten Schwestern. Hilda spielte Klavier, Virginia schrieb und las, und Maria de la O strickte wollene Schultertücher für die kalten Tage mit dem schneidenden Nordwind.
»Wir heiraten erst, Leticia, wenn du mit deinem Mann zusammenziehst, wie es sich gehört«, sagten Hilda und Virginia, fast wie aus einem Munde.
»Er tut es nur für dich und das Mädchen. Er braucht nicht mehr
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