Die Jahre mit Laura Diaz
erschöpft, gegen die guten Sitten verstoßen hatte. Anfangs ging er auch nicht zur Messe, zuerst aus sozialistischer, dann aus protestantischer Tradition, aber ein kleines Dorf ist eine große Hölle, am Ende kapitulierte er vor diesem Veracruz, das an Gott und Wunder glaubte, wenn auch nicht an Kirche und Pfarrer. Was Felipe wiederum gefiel, nicht aus Zynismus, sondern aus Bequemlichkeit. Die büßten sie allerdings ein, als der Herr Pfarrer Don Elzevir Almonte eintraf, ein junger, braunhäutiger, intoleranter Geistlicher, der aus der höchst ehrbaren und klerikalen Stadt La Puebla de los Angeles geschickt wurde, mit dem vom Erzbistum Mexiko einem guten Dutzend Priester des Hochlandes erteilten Auftrag, Disziplin und gute Sitten unter die verwahrlosten – und ausschweifenden – Gläubigen der Golfküste zu bringen.
Cosima Reiter, die von Philipp Kelsen, dem enttäuschten Sozialisten, aus Deutschland auf dem Postweg bestellte und nach Veracruz auf seine notdürftig eingerichtete Kaffeeplantage geholte Braut, wurde als Protestantin geboren und erzogen. Philipp-Felipe, der Agnostiker war, hatte begriffen, daß er in Mexiko keine ungläubige Gattin finden würde, hier glaubten auch die Atheisten an Gott, und selbst die Huren waren römisch-katholisch oder apostolisch.
Eine atheistische Braut im wilhelminischen Deutschland zu bestellen, das hätte, mehr noch als wie ein Affront, wie der Scherz eines tropischen Witzbolds gewirkt. Philipp richtete sich nach den Ratschlägen von Freunden und Verwandten diesseits und jenseits des Ozeans: Ihn begeisterte vor allem die Photographie des Mädchens mit dem schwarzen, von einem strengen Mittelscheitel in zwei Hälften geteilten Haar und mit dem Fächer in der rechten Hand.
Der junge Lassalleaner konnte sich damals, als seine weit jüngere protestantische Braut in Veracruz eintraf, nicht vorstellen, wie sehr sie, aus vielerlei Gründen, dem Konformismus unterlag, jenem Konformismus fast aller Religionsgemeinschaften, so beachtlich die Ausnahmen auch sein mochten. Der Druck von außen war dabei das geringste. Es war vielmehr die unausbleibliche Entdeckung, daß Philipp oder Felipe während seines Junggesellendaseins in Veracruz kaum wie ein Heiliger gelebt hatte. Dieser junge Ausländer mit den langen Locken, dem blonden Bart und dem griechischen Profil hatte sich gewiß keiner Klosterordnung unterworfen. Die Gerüchte, die in der kleinen Gemeinde am See umherschwirrten, erreichten Cosima bereits, als sie ihre Sachen auspackte. Und kaum vierundzwanzig Stunden nach ihrer standesamtlichen Trauung sagte die schöne und aufrechte Deutsche zu ihrem verblüfften Ehemann: »Jetzt will ich auch kirchlich heiraten. In der katholischen Kirche.«
»Aber wir beide sind Protestanten. Wir müßten unseren Glauben verleugnen.«
»Wir sind Christen. Niemand braucht mehr zu erfahren.«
»Aber aus welchem Grund?«
»Damit deine Tochter, die Mulattin, mir als Ehrendame die Schleppe trägt.«
Und so betrat Maria de la O beinahe schon am ersten Tag das Heim der Neuvermählten. Cosima wies der Señorita ein Schlafzimmer zu und befahl dem Dienstpersonal, daß man sie nur mit »Señorita« anreden solle. Sie gab ihr einen Platz am Tisch, behandelte sie, als wäre sie ihre eigene Tochter und setzte sich über alles hinweg, was Marias Herkunft betraf. Niemand außer Maria selbst, die damals kaum acht Jahre alt war, hörte, was Cosima Reiter zu ihrer wirklichen Mutter sagte: »Señora, entscheiden Sie, wie Ihre Tochter aufwachsen soll. Gehen Sie dorthin, wo Sie am besten leben können, nach Tampico oder Coatzacoalcos, und es wird Ihnen an nichts fehlen.«
»Außer der Liebe meines kleinen Mädchens«, wimmerte die Schwarze, die als La Triestina bekannt war. Niemand wußte, ob sie diesen Namen wegen ihrer traurigen Augen erhalten hatte oder ob sie, wie sie sich rühmte, tatsächlich einmal Kammermädchen der Kaiserin Charlotte im Schloß Miramar bei Triest gewesen war.
»Das glaubst du doch selbst nicht.« Die neue Frau Kelsen duzte die andere sofort, schnell lernte sie die hiesigen Sitten und Gebräuche. Jahre später erinnerte sie ihren Mann daran, ohne zu ahnen, daß die kleine Laura hinter einem Topf mit Farnkraut lauschte.
»Maria de la O Kelsen«, so hatte Cosima das hübsche Mulattenmädchen vorgestellt, und Don Felipe hatte es anerkannt. Die Hausherrin mußte nicht erst lange bitten, daß ihr Mann den humanistischen Prinzipien seiner Jugendzeit treu blieb. Cosima setzte sich durch und
Weitere Kostenlose Bücher