Die Jahre mit Laura Diaz
Mädchenschlafzimmer gelangte, die zum Patio führende Tür öffnete, zum Bett ging, die Bettkante berührte, sich hinsetzte und die Hand ausstreckte, um inmitten der Kissen ihre Puppe zu entdecken, die glücklich ruhende orientalische Prinzessin Li Po, ihr heißgeliebtes Püppchen, dessen Kopf, Hände und Füße aus Porzellan waren, mit einem Wattekörper-chen in einer Mandarintracht aus roter Seide, und einer ebenfalls seidenen Stirnlocke, und Laura fand sie wirklich dort, als sie die Augen aufschlug, die Puppe lag zwischen den Kissen und wartete darauf, daß Laura sie in die Arme nahm, sie in den Schlaf wiegte und ihr wie früher, wie immer, half, den Porzellankopf zu bewegen, die Augen zu öffnen und zu schließen, ohne die hauchzarten Brauen hochzuziehen, die über die gleichmütigen, aber erwartungsvollen Lider gemalt waren. Li Po alterte nicht.
Laura Dïaz erstickte einen gerührten Ruf, als sie Li Po in die Arme nahm, sich in ihrem Mädchenzimmer umsah und feststellte, daß es vollkommen sauber war, das Waschbecken war wie immer, der Kleiderschrank aus ihrer Kindheit, die Tür mit den weißen Gazegardinen, die von kleinen Kupferstangen gehalten wurden. Aber Li Po war doch in Frida Kahlos Haus geblieben? Wer hatte sie nach Catemaco zurückgebracht?
Sie öffnete die Tür und trat auf den sorgfältig gefegten, über und über mit Geranien geschmückten Patio hinaus, sie lief in den Salon und sah die Korbmöbel der Großeltern, die Mahagonitische mit den Marmorplatten, die aus New Orleans hergebrachten Lampengestelle, die Vitrinen mit den kleinen Hirtinnen aus Porzellan und das Bilderpaar mit dem Lausbuben, der auf dem ersten Bild einen schlafenden Hund mit einer Rute ärgerte und auf dem zweiten von demselben, nun erwachten Hund »in die Hinterbacke« gebissen wurde, so daß der kleine Spitzbube vor Schmerz heulte…
Schnell lief sie ins Eßzimmer und erwartete jetzt schon, was sie dort fand, den gedeckten Tisch, das große, gestärkte weiße Tischtuch, die gerade hingestellten Stühle, drei an jeder Seite, während der Lehnstuhl am Kopfende stand, auf den sich immer der alte Don Felipe setzte, und an jedem Platz befand sich ein sorgfältig ausgerichtetes Gedeck mit Tellern aus Meißener Porzellan, ordentlich hingelegten Messern, Gabeln und Löffeln, und rechts von jedem Teller ruhte eine steife Serviette, die in einen Silberring mit dem Namen des Tischgastes gerollt war: Felipe, Côsima, Hilda, Virginia, Leticia, Maria de la O, Laura.
Und auf dem Teller Großmutter Côsimas lagen vier Edelsteine, ein goldenes Band, ein Saphirring und ein Perlenkollier.
Ich träume, sagte sich Laura Dïaz. Das träume ich doch. Oder ich bin schon tot und weiß es nur noch nicht.
Sie erschrak, als die Eßzimmertür ruckartig aufging und das mürrische Gesicht eines schnauzbärtigen Mannes auftauchte, der Stiefel, Drillichhosen und ein durchgeschwitztes Hemd trug. Er hielt ein Gewehr in der Hand und hatte sich ein rotes Tuch um den Kopf gebunden, das den Schweiß aufsaugen sollte.
»Entschuldigen Sie, Señora«, sagte er mit sanfter Stimme in einem Veracruzaner Tonfall, der sich viele »S« sparte. »Aber das hier ist ein Privathaus, da muß man um Erlaubnis bitten.«
»Ich bitte Sie um Entschuldigung«, antwortete Laura Dïaz. »Ich bin hier aufgewachsen. Ich wollte das Haus sehen, bevor…«
»Der Patron will nicht, daß jemand ohne Erlaubnis hier reinkommt, nichts für ungut, Señora.«
»Der Patron?«
»Selbstverständlich. Wenn Sie gesehen hätten, Señora, wie gewissenhaft er das Haus wieder hingekriegt hat, wo das eine Ruine war, und früher, so heißt es, soll es die größte Hazienda von Catemaco gewesen sein. Dann ist der Patron gekommen und hat alles wie neu gemacht. Er hat an die fünf Jahre gebraucht, bis er die Sachen zusammengeholt hatte, er hat gesagt, er wollte das Haus ganz genau so sehen, wie's vor etwa hundert Jahren gewesen ist, oder so ungefähr.«
»Der Patron?« fragte Laura hartnäckig nach.
»Klar, mein Chef. Don Danton, dem gehört doch das Haus und das Land von hier bis zum See.«
Laura konnte sich einen Augenblick lang nicht entscheiden, ob sie Li Po mitnehmen oder auf ihrem bequemen Platz im Bett, zwischen den Kissen, lassen sollte. Sie sah, daß sich Li Po so zufrieden, so behaglich in ihrem altgewohnten Bett fühlte. Noch einmal ließ sie die Erinnerungen an sich vorbeiziehen, den Saal, das Eßzimmer, die Silberringe.
»Ruh dich aus, Li Po, schlafe, lebe glücklich. Ich werde immer
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