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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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für dich sorgen.«
    Im Patio musterte der junge Wächter sie mit einem langen Blick, als wäre sie ihm von jeher bekannt. Dann lief sie aufs freie Feld hinaus und sagte sich, so groß das Land auch sein mochte, am Ende waren es immer die armseligen vier Fußbreit, die jedem einzelnen von uns für immer zustehen, weil wir eine Zeit auf Erden verbracht haben. An diesem Mainachmittag freute sie sich mehr als je zuvor über die vollkommene Symmetrie der Araukarie, die an jedem Sproß jedes einzelnen Astes ein getreues Abbild ihrer selbst hervorbrachte. Werde ich mich selbst ebenso vermehren, werde ich eine andere Laura Dïaz sein, eine zweite Laura Dïaz, durch meine Nachfahren und meine Vorfahren, die Menschen, von denen ich abstamme, und die, die ich in die Welt gesetzt habe, auf die ich zugehe, die Menschen, die ich hinter mir gelassen habe, wird die ganze Welt wie eine Araukarie sein, die in jeder Blüte ein Abbild ihrer selbst hervorbringt? Möge das Gewitter sie nicht zerstören, soll doch der Liguster mit seinen gelben Blüten sie vor dem Donner schützen, jener bewundernswerte Baum, der dem Orkan ebenso trotzt wie der Dürre.
    Sie lief in den Urwald. Ihre Gedanken überstürzten sich, während sich der Wald immer weiter vor ihr öffnete. Sie trug die Last des Lebens, ihres eigenen Lebens und des Lebens derer, die sie begleitet hatten; darum endete ihr Leben nicht, das Leben von Laura Dïaz. Denn mein Leben bin nicht ich allein, es sind viele Geschlechter, Nachkommen, die wahre Geschichte, das heißt die erlebte, doch vor allem die erdachte. Bin ich nur das Klageweib, die Leidtragende, die Trauernde? Nein, ich bin immer aufrecht meinen Weg gegangen, nie habe ich um Barmherzigkeit gefleht, ich gehe weiter und versuche, die Strecke meines Lebens auszumessen, ich messe sie mit den Stimmen, die aus der Vergangenheit aufsteigen und mich ansprechen, als wären sie hier, die Namen auf den sieben silbernen Serviettenringen, die Namen der vier Santiagos und der vier Männer meines Lebens, Orlando und Juan Francisco, Jorge  und Harry, nein, ich kann nicht die Leidtragende, das Klageweib sein, ich gehe aufrecht meinen Weg, selbst wenn ich mich demütig damit abfinde, daß ich nie die Natur beherrschen kann, denn die Natur überlebt uns und verlangt von uns, daß wir nicht ihre Herren, sondern ein Teil von ihr sind, daß wir zu ihr zurückkehren, die Geschichte, die Zeit und das Leid der Zeit hinter uns lassen, daß wir uns nicht mehr der Illusion hingeben, wir seien die Herren von etwas oder jemandem, nicht einmal die unserer Kinder, nicht einmal unserer Lieben, Laura Dïaz beherrscht allein die menschliche Kunst, anderen mit dem eigenen Körper etwas zu geben, mit ihrem vergänglichen und beschränkten Körper.
    Sie erinnerte sich an den Wunsch ihres Bruders, des ersten Santiago, so im Urwald zu verschwinden, wie er schließlich im Meer verschwand.
    Sie wollte den Wunsch Santiagos des Älteren erfüllen. Sie wollte Wald werden, wie er Meer geworden war.
    Sie wollte in den Wald eindringen, wie man in einen leeren Raum eindringt, aus dem keine Botschaft zurückkehren kann.
    Die unerfüllten Leben eines Bruders, eines Sohns und eines Enkels begleiteten sie.
    Der Blick und die Worte ihres Großvaters Felipe Kelsen begleiteten sie. Gab es ein einziges Leben, das sich wirklich vollendet hatte, ein einziges, das keine gescheiterte Verheißung, keine verborgen gebliebene Möglichkeit war?
    Laura erinnerte sich an den Tag, als ihr Großvater starb, als sie seine Hand mit den dicken Adern und den alten Sommersprossen ergriff, ihm die abgenutzte, durchsichtig gewordene Haut streichelte und das Gefühl hatte, daß jeder von uns für andere lebt: Unser Dasein hat allein den Sinn, unfertige Schicksale zu vollenden.
    »Habe ich's dir nicht gesagt, Mädchen? Endlich haben mich alle Krankheiten zusammen erwischt, und du siehst ja… Aber bevor es zu Ende geht mit mir, möchte ich dir sagen, daß du recht hattest. Ja, es gibt wirklich die mit Edelsteinen geschmückte Frauengestalt im Wald. Ich habe dich absichtlich belegen. Du solltest dich nicht Aberglauben und Zauberei hingeben, Laurita. Ich habe dir einen Wollbaum gezeigt, damit du lerntest, dich auf die Vernunft und nicht auf Phantasie und Schwärmerei zu verlassen, die ich in meiner Jugend so teuer bezahlen mußte. Sei vorsichtig. Der Wollbaum ist mit dolchspitzen Dornen besetzt, erinnerst du dich?«
    »Gewiß, Großvater.«
    Der Wald erhebt sich wie sein eigener hochfliegender Atem,

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