Die Jahre mit Laura Diaz
verstehst mich nicht«, widersprach Laura. »Mich sollst du danach fragen. Bitte.«
Magdalena ließ ein paar wirre Worte hören: »Du selber, Laura Dïaz, bist immer deinen eigenen Anforderungen gerecht geworden?«
»Und denen der anderen?« setzte Laura hinzu.
»Und denen der anderen?« Magdas Blick glänzte und belebte sich wie in einem selbständigen Gedankenflug.
»Hast du nie die Versuchung gespürt? Wolltest du nie, daß man dich einzig und allein als anständige Frau ansieht? Ist es dir nie in den Sinn gekommen, daß beides zusammengehören kann, daß man als Frau anständig und gerade deshalb für Korruption anfällig ist?« fragte Laura weiter.
Sie hielt einen Moment inné.
»Dein Mann, mein Sohn, verkörpert den Sieg des Betrugs.«
Laura wollte schonungslos sein. Magda verzog angewidert das Gesicht. »Immer hat er geglaubt, daß das Leben aller anderen allein von ihm abhängt. Ich schwöre dir, daß ich ihn verabscheue und verachte. Entschuldige.«
Laura drückte Magdas Kopf an ihre Brust. »Ist es dir nie eingefallen, daß das Opfer deines Sohnes sogar Danton von all seiner Schuld erlöst?«
Magdalena schob den Arm Lauras zurück und starrte sie verblüfft an.
»Das mußt du verstehen, Töchterchen. Wenn du das nicht verstehst, dann ist dein Sohn vergebens gestorben.«
Santiago, der Sohn, hatte seinen Vater Danton erlöst. Magda sah von der Straße hinauf, und ihr Blick, in dem sich Ohnmacht, Schrecken und Abwehr vereinten, traf mit dem Lauras zusammen, und die zweiundsiebzigj ährige Frau, nicht die Witwe, die Mutter oder Großmutter, einfach die Frau mit dem Namen Laura Dïaz, beobachtete vom Fenster aus, wie Magdalena Ayub auf der Straße weiterlief, ein Taxi anhielt und noch einmal zu dem Fenster emporblickte, an dem sich Laura voller Zärtlichkeit von ihr verabschiedete und sie bat: Du mußt verstehen, was ich dir gesagt habe, ich verlange nicht von dir, daß du dich mit deinem Schicksal abfindest, sondern daß du Mut und Tapferkeit beweist und einen unerwarteten Triumph über einen Mann erringst, der von seiner willfährigen Frau alles erwartet, nur keine hochherzige Verzeihung.
Magda warf Laura ein Lächeln zu, bevor sie ins Taxi stieg. Vielleicht würde sie das nächste Mal im eigenen Wagen kommen, mit ihrem eigenen Chauffeur, ohne sich vor ihrem Mann zu verstecken.
XXV. Catemaco
Sie nahm den Interoceânico, den Zug, der sie so oft nach Veracruz zurückgebracht hatte. Wie so viele andere Dinge aus der Vergangenheit wirkte der einstige Luxuszug, der Mexico-Stadt, Xalapa und den Hafen verband, wie zusammengeschrumpft und selbstverständlich auch gealtert. Verschlissene Stoffbezüge, durchgesessene Sitze, herausstechende Sprungfedern, trübe Fenster, fleckige Rückenlehnen, verstopfte Waschbecken. Laura entschied sich für das Privatabteil des Pullmans, einen Raum, der vom Rest des Schlafwagens abgetrennt war und tagsüber zu seiner Funktion als bloßes Beförderungsmittel zurückkehrte, während abends in ihm wie durch Zauberhand ein Bett herunterklappte, das schon mit weißen Kissen und frischgewaschenen Laken vorbereitet war, über denen eine grüne Bettdecke lag. Ebenso verwandelten sich die Sitze in Betten, die während der Ruhestunden von schweren Leinenvorhängen mit Kupferknöpfen verborgen wurden.
Dieses Schlafcoupe, das Laura bezog, hatte sich eine élégance fanée bewahrt, wie Orlando Ximénez sagen würde, mit Spiegeln, die Patina angesetzt hatten, Waschbecken mit vergoldeten Hähnen, einem gewissen trompe-l'œil (wieder Orlando), und –als unbezwinglicher Anachronismus – einem silbernen Spucknapf gleich jenen, die es in ihrer ehelichen Wohnung gegeben hatte, für Juan Franciscos Zusammenkünfte mit den Arbeiterführern. Die Seife war von Palmolive, die Handtücher bloße Schatten ihres früheren Originalzustandes, und dennoch war das Privatcoupe von der nostalgischen Erinnerung an den Glanz vergangener Zeiten durchdrungen. Der Interoceânico verband die Hauptstadt des Landes mit seinem wichtigsten Hafen, und in jener Nacht gab er Laura das rührende Gefühl, mit ihm wirklich nach Hause zurückkehren zu können. Der Preis der Heimkehr war das Problem, und das hatte nichts mit der Fahrkarte der Nationalen Eisenbahngesellschaft Mexikos zu tun.
Sie schlief die ganze Nacht durch. Xalapa eilte unmerklich an ihr vorbei, der Weg zur Hazienda San Cayetano war mit Gras überwuchert. Statt dessen empfing sie der morgendliche Hafen mit jener frühen Kühle, die schon, und
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