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Die Janus-Gleichung

Die Janus-Gleichung

Titel: Die Janus-Gleichung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Spruill
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der Stadt über die spiralförmigen Rolltreppen von einem Stockwerk ins andere. Essian übersah geflissentlich die Rolltreppen und begann, die Stufen hinaufzusteigen; fünf Stufen und eine Terrasse, fünf Stufen und eine Terrasse. Die Bewegung seiner Beine machte ihm den Kopf klar, und er blieb erst stehen, als er sah, daß das Dach des Vogelhauses und des Vergnügungscenters sich nur noch ein Stockwerk über ihm befand. Er kletterte auf eine der Aussichtsplattformen, die sich über eine Rolltreppe spannte, und beobachtete die tropischen Vögel, die mehr als hundert Fuß unter ihm durch die Gicht der Fontäne des Springbrunnens schossen. Auf der anderen Seite des Vogelhauses, ein wenig unterhalb, sah er eine Frau mit kinnlangem schwarzen Haar. Er beugte sich nach vorne und spähte durch die Abschirmung, aber bevor er noch herausfinden konnte, ob es die Frau aus der Bar war oder nicht, war sie schon in einer der Türen verschwunden. Essian verließ die Plattform, nahm die Treppe, immer zwei Stufen auf einmal, sprang auf die Rolltreppe, drängelte sich an zwei kahlgeschorenen Teenagern vorbei und eilte weiter nach unten, ohne die Tür aus den Augen zu lassen.
    Als er sie erreicht hatte und die Aufschrift über dem Eingang las, zögerte er einen Augenblick bevor er eintrat. Er sprach mit der Eigentümerin, einer geschmackvoll gekleideten Frau von ungefähr fünfzig Jahren, die ihn in ein Zimmer führte. Er wartete und streckte sich dann ein wenig unbehaglich auf dem Bett aus, das sich vom Boden nur durch seine Bettdecke aus Satin abhob. Einen Augenblick später öffnete sich die Tür und ließ die schwarzhaarige Frau ein, deren Gestalt violette Schatten warf, als die lichtempfindlichen Algen vom Jupiter in der Decke des Raumes auf ihre Anwesenheit reagierten. Er wagte es nicht, ihr ins Gesicht zu blicken, als sie durch den Raum auf ihn zukam und sich neben ihm niederkniete.
    »Sie haben nach mir gefragt? Sind wir uns schon einmal begegnet?« Ein Duft nach Rosen und Zitronen stieg Essian in die Nase.
    »Ich habe Sie hier hineingehen sehen.« Er zwang sich, sie anzuschauen. Das Gesicht befand sich im Schatten, in dem merkwürdigen Gegenlicht der Decke, aber es war hell genug in dem Raum, um zu sehen, daß es nicht die Frau aus der Bar war. Plötzlich wurde er sich der Unbesonnenheit seiner Handlung bewußt. Er war einer fremden Frau in ein fremdes Haus gefolgt. Er hatte sie miteinander verwechselt, hatte sich selber vorgemacht, daß dies die Frau sei, mit der er in seiner Phantasie ein Verhältnis eingegangen war. Er saß auf dem Bett einer Hure – er konnte ihn immer hochkriegen, für jede Frau und zu jeder Zeit, aber das war nicht der Grund, weshalb er hier war. Die Spannung, das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, das ihn immer in den ungeeignetsten Momenten überfiel, stieg in ihm auf; aber das war nur ein Zufall, ein dummer Zufall, dessen war er sich sicher, und es würde in einer Minute schon wieder vorbei sein. Er atmete verstohlen durch und ließ den Kopf auf seinem verkrampften Nacken leicht hin- und herrollen.
    Die Frau streifte das Hemd von den Schultern, sie hatte volle Brüste mit dunklen Warzen und einen flachen Bauch. Das Gewand fiel zu Boden, als sie sich mit einer geschmeidigen Bewegung, die das Bett kaum eindrückte, neben ihn legte. Sie tastete sich zu ihm hinüber, und eine Hand fuhr am Verschluß des Jumpsuits entlang, glitt hinein und strich über seine Brust. Essian überlegte, ob er gehen sollte, erkannte, daß er es nicht konnte. Die Prostituierte streichelte mit ihren Händen leicht über seinen Körper hinweg, glitt tiefer und tiefer, strich über seine Schenkel, seine Waden; eine Hand kam schließlich auf der verhärteten halbmondförmigen Narbe an der linken Ferse zur Ruhe, die er sich vor drei Jahren bei einer Standfete zugezogen hatte, als er in eine Glasscherbe getreten war. Ihre Hände waren nicht unangenehm, und er merkte, wie er sich allmählich entspannte.
    »Die Farben«, sagte sie. »Du wirfst blaue und grüne Schatten an die Decke. Ich mag Männer mit Selbstbeherrschung.«
    Fast hätte Essian über diese naive Schlußfolgerung gelächelt; sie war sogar trotz all der Tünche und ihres gekünstelten Benehmens immer noch schön. Die meisten Männer hätten – aber eben nicht alle. Essian lächelte, aber dieses Lächeln trug einen Anflug von Hysterie, und er richtete sich auf, um sich ein paar Einzelheiten im Leben dieses Freudenmädchens vorzustellen. Unter Umständen war sie gar,

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