Die Joghurt-Luege
abschreckend. Ein Vergleich zwischen Umweltrecht einerseits sowie Futter und Lebensmittelrecht andererseits führt den Abgrund zwischen Anspruch und Wirklichkeit vor Augen:
»Benutzt jemand unerlaubt ein Gewässer für seinen betrieblich genutzten Garten, droht ein maximales Bußgeld von 50 000 Euro. Die Gefährdung von hochschwangeren Frauen mit nitrofen-verseuchten Putenschnitzeln, die zu Missbildungen beim ungeborenen Kind führen kann, wird mit einem maximalen Bußgeld von 25 000 Euro belegt.« 37
Angesichts solcher Fakten erübrigt sich die Frage nach dem Einfluss des Verbrauchers. Er hat kaum Rechte; kein Unternehmen ist verpflichtet, ihn wahrheitsgemäß zu informieren. Darüber hinaus dürfte der Nachweis eines kausalen Zusammenhangs zwischen einem erlittenen Schaden und dem Verzehr eines Lebensmittels kaum zu führen sein, schon weil es sich oft um Langzeitwirkungen handelt, er nicht |220| die finanziellen Mittel und den langen Atem besitzt, über Jahre hinweg Prozesse zu führen.
Qualitativ hochwertige Futtermittel sind teurer, aber auch sicherer. Es mutet zynisch an, dass Industrie, Handel, Bauernverbände und Politiker den Verbraucher an den Pranger stellen, um zu rechtfertigen, dass bei der Nutztiernahrung massiv gespart, manipuliert und geschludert wird. Sie verschweigen, dass es beim Einkauf von Rohware um Bruchteile von Prozenten geht – und um die feilschen die Beteiligten unerbittlich, um das eigene Betriebsergebnis aufzubessern. Foodwatch rechnet vor:
»Ein Kilogramm konventionelles Schweinefleisch kostet ab Erzeuger 1,40 Euro. Der Futtermittelanteil kann bis zu zwei Drittel betragen, also 93 Cent. Eine drastische Erhöhung um 20 Prozent hätte Futtermittelkosten von 1,12 Euro zur Folge, also 19 Cent mehr. An der Fleischtheke kostet ein Kilogramm Schweinefleisch etwa 8,50 Euro. Denn außer den Produktionskosten ergeben Transport-, Schlacht-, Verarbeitungs- und Vertriebskosten den Gesamtpreis. Mit guten Futtermitteln würde das Kilogramm Schweinefleisch an der Theke jetzt 8,70 kosten – ein Mehrpreis von lediglich 20 Cent oder 2,5 Prozent.« 38
Lebensmittelskandale wie auch BSE sind hausgemacht. Immer wieder begehen gewählte Volksvertreter dieselben Fehler: Erst wird gekungelt, mangelhaft kontrolliert, verschwiegen, nicht durchschaut, verharmlost und, wenn eine Eruption des Problems nicht mehr zu verheimlichen ist, (finanzielle) Schadensbegrenzung betrieben – die eigentlichen Ursachen zu bekämpfen, steht kaum zur Debatte. Agrarlobbyisten, ein Filz aus Agrarindustrie, der Führungsspitze des deutschen Bauernverbandes und Teilen des Landwirtschaftsministeriums, besitzen traditionell einen starken Einfluss auf politische Entscheidungen. Über Jahrzehnte hinweg wurden Landwirtschaftsminister aus den eigenen Reihen rekrutiert: Josef Ertl (FDP), bis 1983 Bundeslandwirtschaftsminister, hatte seinen Schwiegervater Wilhelm Niklas (CSU), der selbst Landwirt war, um dessen Amt beerbt; sein Nachfolger Ignaz Kiechle (CSU), bis 1993 Bundeslandwirtschaftsminister, war als geprüfter Landwirtschaftsgehilfe als landwirtschaftlicher Lehrmeister tätig und hatte zehn Jahre lang den |221| elterlichen Hof geleitet; Jochen Borchert (CDU), bis 1998 Bundeslandwirtschaftsminister, absolvierte ebenfalls eine landwirtschaftliche Lehre und übernahm den elterlichen Pachtbetrieb, schließlich Karl-Heinz Funke (SPD), bis 2002 Bundeslandwirtschaftsminister und für seine markigen Sprüche gegenüber Kritikern bekannt, bewirtschaftete seit 1983 den elterlichen Hof. In besonders sensiblen Bereichen wie Gremien, Beraterstellen, Ausschüssen und Runden Tischen wissen Lobbyisten ihre Vertreter wirksam zu positionieren. Nicht Vorsorge oder Verbraucherschutz, sondern die Umsetzung der eigenen Umsatzziele und die zukünftige Absatzentwicklung haben oberste Priorität. Da verwundert es nicht, dass der neue deutsche Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer (CSU) gesundheits- und umweltverträgliche Wirtschaftsformen wie die Biolandwirtschaft nicht länger »bevorzugen«, stattdessen aber die grüne Gentechnik fördern will – obwohl deutsche Verbraucher diese seit Jahren ablehnen. Während sich aufgrund dieser Skepsis Landwirte in vielen Gemeinden bereits zusammengeschlossen haben und einen freiwilligen Verzicht auf Gentechnik in ihrer Region erklärten, um Vertrauen beim Kunden zu schaffen, lobte der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, Helmut Born, die unerwartete Änderung der Marschrichtung: »Wir Landwirte
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