Die Joghurt-Luege
Arbeitsgruppe der Verbraucherzentralen wollte 2005 in einer Umfrage klären, ob Fleisch über die gesetzlichen Vorgaben hinaus geprüft wird, ob die Tiere aus der Region stammen, wie artgerecht die Haltung ist oder ob das Futter ohne Gentechnik auskam – doch jede vierte der angesprochenen Firmen, darunter die Aldi-Marke Bauernglück, die Rewe-Marke Erlenhof und die Tengelmann-Marke Birkenhof, verweigerte sich. 33
Die einfache Rechnung »niedrige Ausgaben – hoher Gewinn« geht für Handel und Ernährungsindustrie seit Jahren auf. Schuld an BSE sind weniger preisverwöhnte Verbraucher oder einzelne »kriminelle Elemente«, als vielmehr diejenigen, die im großen Maßstab billiges Fleisch im Sinne von Kostensenkung ordern und massiven Druck auf die Erzeuger ausüben. Die Preise sind so stark gefallen, dass die meisten landwirtschaftlichen Betriebe ohne die Beihilfen von EU und Staat gar nicht überleben könnten. Schon seit Jahrzehnten können sie |216| über den Verkauf ihrer Produkte keine Gewinne mehr erzielen, die ihre Existenz sichern. Wer glaubt, Fleisch werde direkt vom Erzeuger an den Metzger oder den Supermarkt geliefert, sitzt einem Irrglauben auf. 90 Prozent des Fleisches werden über Viehhändler an Schlachthöfe geliefert – Tendenz steigend. Die Schlachthöfe wiederum verkaufen überwiegend an den Großhandel, an Einzelhandelsketten wie Aldi, Rewe oder Tengelmann sowie an die Fleisch verarbeitende Industrie. Bis vor wenigen Jahren fielen die Erzeugerpreise, also die Preise, die der Landwirt erhält, kontinuierlich. Erst 2004 konnten sie sich erholen und im Vergleich zu 2003 sogar zulegen. Obwohl sich die Wirtschaftlichkeit der Rindermast damit deutlich verbessert hat, reicht die erzielte Bruttomarge aber immer noch nicht aus, um alle Produktionskosten decken zu können. 34
Fleisch billig zu produzieren, heißt für den Erzeuger: sparen, sparen, sparen. Weil die Futterkosten das Gros der Gesamtkosten ausmachen, wird zuerst bei hochwertigen – und damit teuren – Zutaten fürs Futter gegeizt. Rascher Zuwachs an Muskelmasse innerhalb kürzester Zeit, maximale Lege- und Milchleistung erfordern moderne Futtermittel, die eine Vielzahl von verschiedenen Substanzen enthalten müssen. Spurenelemente und Mineralstoffe versorgen das Tier mit Nährstoffen, Aromen und Geschmacksverstärker fördern seinen Appetit, und synthetische Farbstoffe machen dem Menschen den Umgang mit dem Futtermittel angenehmer. Nach wie vor werden im Futter für die konventionelle Geflügelhaltung Wirkstoffe gegen einzellige Darmparasiten, so genannte Kokzidiostatika, beigemischt, und noch bis Ende 2005 war der Zusatz von vier verschiedenen Antibiotika zum Futter erlaubt. Die Organisation foodwatch hat in ihrem Futtermittelbericht Lug und Trog 35 dokumentiert, wie perfide die Zusammenhänge sind und wie die politisch geduldeten Machenschaften von Raiffeisen- und Bauernverband, Handel und Nahrungsindustrie kontinuierlich die Gesundheit der Verbraucher gefährden – und ihn unmündig halten. Wer beispielsweise aus ideologischen Gründen Gentechnik in seiner Nahrung ablehnt, kann nicht sicher sein, dass die Lebensmittel in seinem Einkaufswagen auch wirklich gentechnikfrei produziert wurden. Zwar besteht eine Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Zutaten in Endprodukten ebenso wie |217| seit April 2004 für Futter (siehe Kapitel »Gentechnik und Genfood«). So weiß der Landwirt wohl, was er verfüttert, doch der Verbraucher weiß nicht, dass Milch, Eier und Fleisch von Tieren stammen, die mit Gensoja ernährt wurden. So hatte Greenpeace im Jahr 2004 bei Stichproben entdeckt, dass Vertragsbauern von Müllermilch Gensoja verfüttern. Der Einsatz der genmanipulierten Bohne lohnt, weil sie im Einkauf etwas günstiger ist als ihr Pendant mit unverändertem Erbgut. Die Unternehmensgruppe Müller nimmt nach Nordmilch eG und Humana Milchunion eG in der deutschen Molkereibranche mit einem Umsatz von 1,8 Milliarden Euro den dritten Platz ein. Bezieht man nur Milchprodukte ohne Butter und Käse in die Betrachtung ein, ist Müller mit einem Anteil von 18 Prozent sogar Marktführer. Müllermilch findet sich auch in Handelsmarken von Penny und Minimal (beide Rewe), Plus (Tengelmann), Aldi und Lidl. Alles Genmilch … oder was?
Die Kennzeichnungslücke lässt dem Verbraucher keine Wahl – er wird praktisch gezwungen, Gentechnologie in seinem Essen zu akzeptieren und die europaweite Agrargentechnik zu unterstützen. Eine Chance, den
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