Die Joghurt-Luege
fühlen uns von Horst Seehofer wieder ernster genommen.« 39 Seehofer bekennt sich damit ganz offen zu rein wirtschaftlichem Kalkül: Statt der Verantwortung des Staates gegenüber seinen Bürgern und den berechtigten Zweifeln am Sinn und an der ökologischen Verträglichkeit genmanipulierter Nutzpflanzen Rechnung zu tragen und die Ablehnung der Verbraucher zu akzeptieren, schwingt sich Seehofer entgegen allen ethischen Bedenken zum Anwalt einer umstrittenen Technologie auf, die einzig dazu dient, die Gewinne von Agrarmultis wie Monsanto, Bayer, Syngenta und DuPont zu mehren (siehe dazu Abschnitt »Gentechnik und Genfood«), die Biolandwirtschaft als ernst zu nehmende Konkurrentin zu konventionellen Wirtschaftsformen auszuschalten und die so oft versprochene Agrarwende ad absurdum zu führen. Die Politik scheint aus BSE & Co. nichts gelernt zu haben.
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|222| Gentechnik und Genfood
Das Lebensmittelbusiness kann ein Kriegsschauplatz sein. Kaum ein anderes Gebiet führt das derart deutlich vor Augen wie Genfood. Seit Jahren fechten Befürworter wie Gegner den Kampf um Akzeptanz oder Ablehnung gleichermaßen erbittert aus. Die über gentechnologische Verfahren kreierten Nahrungsmittel, die in ihren Ausgangsstoffen so nicht von der Natur vorgesehen sind, stellen für die eine Seite eine unzumutbare Gefahr für Umwelt und Gesundheit dar: Sich selbstständig machende neuartige genetische Konstellationen bedrohen das menschliche Leben oder das anderer Organismen, indem sie deren Erbsubstanz verändern; das empfindliche Gleichgewicht von Ökosystemen gerät aus den Fugen, die gesamte Biosphäre ist dem schutzlos ausgeliefert. Für die andere Seite garantiert die »grüne Gentechnologie« die Produktion hochwertiger Rohstoffe aus Pflanzen, die vom Samen bis zur Ernte mit wenig Pestiziden und Mineraldünger auskommen und die gleichmäßige hohe Erträge und Züchtungsfortschritte innerhalb kürzester Zeit liefern, die mit konventionellen Methoden viele Jahre benötigen würden. Von Optimisten wird sie sogar zur Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts hochstilisiert – zur Waffe gegen Hunger und Überbevölkerung.
Als James Watson und Francis Crick im Jahr 1962 den Nobelpreis für Medizin erhielten, weil sie die Molekularstruktur der Erbsubstanz DNA entdeckt hatten, begann nicht nur eine neue Ära der Biochemie. Es war auch die Geburtsstunde der Gentechnologie. Sie erlaubt es dem Menschen, das Erbgut von Pflanzen oder Tieren gezielt zu verändern. Durch den künstlichen Eingriff in die molekularen Bausteine der DNA lassen sich – mit mehr oder weniger Erfolg – »Eigenschaften nach Maß« kreieren. Man unterscheidet drei große Bereiche der Gentechnik:
Die »grüne Gentechnik« umfasst technische Verfahren der Pflanzenzüchtung, die Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen in der Landwirtschaft und im Lebensmittelsektor.
Bei der »roten Gentechnik« geht es um die Anwendung gentechnischer Methoden in der Medizin zur Entwicklung diagnostischer und therapeutischer Verfahren sowie zur Herstellung von Arzneimitteln.
|223| Die »graue Gentechnik« steht ganz im Zeichen der Industrie. Mithilfe genetisch veränderter Mikroorganismen entstehen Enzyme und Feinchemikalien für industrielle Anwendungen.
Ihren Anfang nahm die kontrovers und stark emotional gefärbte Debatte über die Gentechnik mit einem der ersten gentechnischen Experimente, durchgeführt vom amerikanischen Biochemiker und späteren Nobelpreisträger für Chemie Paul Berg. Berg war es Anfang der 1970er Jahre gelungen, die Erbsubstanz Desoxyribonukleinsäure (DNS) mithilfe von Enzymen in Teile zu zerschneiden. Solche Bruchstücke sind die Basis für eine erfolgreiche Genübertragung. Wenig später koppelte Berg zwei Kopien eines tumorinduzierenden Virus, des SV 40, zu einem gemeinsamen Molekül. Doch Berg beließ es nicht bei der Forschung im Elfenbeinturm der Wissenschaft. Gemeinsam mit Fachkollegen rief er zu einer Konferenz in Asilomar auf, um die möglichen Folgen solcher Experimente zu diskutieren und Maßnahmen zu benennen, die geeignet sind, potenzielle Gefahren schon während der Versuche erkennen und eingrenzen zu können. Das veröffentlichte Memorandum gilt als Ursprung der folgenden Auseinandersetzungen.
Das Prinzip der Gentechnik lässt sich in einfachen Worten beschreiben. Ziel ist es, einzelne Gene im Erbgut aufzufinden und zu isolieren, denen bestimmte Eigenschaften zugeordnet werden können. Sind sie gefunden, wird
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