Die Judas-Papiere
nach unten zu führen. Dieses Manö ver brach er jedoch nach einem kurzen Zucken mit seiner Waffe ab, richtete die Klinge blitzschnell auf und fiel mit weit vorschießendem Waffenarm in den Ausfallschritt. Und während Draculas Klinge eine halbe Armlänge über seinem Kopf durch die Luft schnitt, jagte er ihm den Stahl seines Degens von schräg unten mitten in die Brust.
Byron rechnete damit, augenblicklich auf den Widerstand von Fleisch und Knochen zu stoßen. Doch dem war nicht so, wie er zu seinem Erschrecken feststellte. Seine Klinge glitt durch Dracula so leicht und ohne jeden körperlichen Widerstand hindurch, als hätte er mit seinem Degen eine Seifenblase aufgespießt.
Zwangsläufig wurde er von der Wucht seines eigenen Stoßes nach vorn gerissen und aus dem Gleichgewicht gebracht. Er stürzte der Länge nach zu Boden, hörte über sich das kalte, hohnerfüllte Lachen des Vampirs, warf sich noch herum und wusste doch, dass er dem tödlichen Stich des über ihm stehenden Un-Toten nicht mehr ent kommen würde.
»Du Narr!«, zischte Dracula und in seinen Augen stand ein trium phierendes Funkeln. »Jetzt hat es sich ausgetanzt!«
In dem Moment flog Dracula etwas Helles und Rundes von der Grö ße einer Goldmünze vor die Brust und mit einem schrillen Kreischen taumelte er wie von einem Hammerschlag getroffen zurück. Dabei ließ er die Waffe fallen, als hätte sich ein glühendes Stück Eisen in seine Brust gebrannt und ihm einen unerträglichen Schmerz zuge fügt. Wilde Zuckungen erfassten seinen Körper, als hätte ihn plötz lich die Fallsucht ergriffen.
»Im Namen Gottes und der geweihten Hostie, weiche von ihm, Sa tan!«, hörte Byron van Helsing schreien, während er selbst hastig auf die Beine sprang und aus Draculas Reichweite taumelte.
Der Vampir kreischte und jaulte noch immer wie ein angestoche nes Schwein, als Byron schon den Tisch zwischen sich und Dracula gebracht hatte, den nutzlosen Degen zu Boden fallen ließ und zu sei nem Kruzifix als Schutz griff.
»Das war Rettung in höchster Not!«, keuchte er und konnte kaum glauben, was er soeben erlebt hatte.
»Ich hätte Ihnen sagen müssen, dass Vampiren mit gewöhnlichen Waffen nicht beizukommen ist«, sagte van Helsing wachsbleich und zerknirscht. »Durch die Körper von Un-Toten kann man hindurchfas sen und -stechen, ohne dass ihnen dadurch Schaden zugefügt wird.«
Draculas wüstes Geschrei erstarb und auch die krampfartigen Zuckungen ließen nach. Er hatte sich mittlerweile so weit von der am Boden liegenden Hostie entfernt, wie es der Saal zuließ. Ein wildes Feuer glomm in seinen Augen.
»Gut, diese Runde geht an euch!«, stieß er gepresst hervor. »Aber gebt euch keinen falschen Hoffnungen hin, Engländer! Das war nur ein harmloses Geplänkel. Und auch wenn ihr einen ganzen Sack voll verfluchter Hostien, Säcke voller Kreuze und Fässer voller Weihwas ser bei euch hättet, würde das doch nichts daran ändern, dass euer Schicksal besiegelt ist! Ihr gehört mir! Und nach dem, was ihr zu tun gewagt habt, wird mir euer Blut ganz besonders süß schmecken!«
Im nächsten Augenblick lösten sich zu ihrem grenzenlosen Entset zen die scharfen Konturen des Vampirs auf, als zerflösse er zu senk rechten Schlieren. Wo eben noch eine scheinbar menschliche Ge stalt gestanden hatte, bildete sich ein milchig trüber Wirbel wie eine kleine Windhose. Und dieser Wirbel, der noch etwas von Draculas Konturen erahnen ließ, stieg zu einem buchrückenschmalen Luft-schlitz in der Decke auf und verschwand dort im nächsten Moment wie von einem starken Sog verschlungen.
Fassunglos starrten sie nach oben. Dann sagte van Helsing mit zit ternder Stimme: »Damit ist der kleine Vorteil, den wir noch hatten, verspielt. Jetzt gnade uns Gott!«
15
V or ihnen lag die längste Nacht ihres Lebens, eine Nacht voller zer mürbender Angst, was Dracula unternehmen würde, um ihren Wi derstand zu brechen und über sie herzufallen.
Alistair wusste, was er mit seinem Spiegel angerichtet hatte. Das Schuldgefühl verwandelte ihn in ein klägliches Häufchen Elend. Zusammengesunken hockte er auf einem Stuhl und wagte keinem von ihnen in die Augen zu blicken, während er sich stammelnd Selbstvorwürfe machte.
»Dass Sie mir sofort beigesprungen sind und damit Ihr Leben für mich aufs Spiel gesetzt haben, werde ich Ihnen nie vergessen, By ron«, murmelte er. »Ich weiß, dass . . . dass ich es eigentlich nicht ver dient gehabt hätte.«
»Das haben Sie auch nicht!«, sagte
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