Die Judas-Papiere
die verletzte Hand und ließ das Kreuz fallen.
Byron wusste, dass Alistair verloren war, wenn er ihm nicht augen blicklich zu Hilfe eilte. Nach einer kurzen Schrecksekunde stürzte auch er zur waffengespickten Wand, packte einen Degen und schrie: »So leicht werden wir es dir nicht machen, Bestie!«
Aber dem Vampir war nicht entgangen, dass Byron sich gleichfalls bewaffnet hatte und ihm nun den Stahl in die Seite stoßen wollte. Mit einer geschmeidigen Bewegung wich er der heranfliegenden Klinge aus und parierte den Stich.
Klirrend trafen die Waffen aufeinander.
Dracula lachte belustigt. »Dir steht der Sinn nach einem kleinen Tänzchen? Und ich fürchtete schon, die unterhaltsamen Stunden mit euch hätten ein Ende gefunden«, höhnte er. »Wohlan denn, Englän der. Zeige, wie gut du eine Klinge zu führen verstehst!«
»Lass dich nur überraschen!«, erwiderte Byron grimmig, schlug ei ne Finte und versuchte einen Hieb an den Kopf.
Aber da flog auch schon Draculas Degen hoch und wehrte den Hieb geschickt ab. »Nicht schlecht, wirklich nicht schlecht«, sagte er herablassend, während sich ihre Klingen in einem schnellen Rhythmus kreuzten, allerdings ohne dass einer von ihnen einen ernsthaften Angriff unternahm. »Aber mit solchen Finten kannst du mich nicht beeindrucken, mein Herr Biograf. Ich habe schon zu einer Zeit gelebt, da die Fechtkunst in hoher Blüte stand, und meine Ehre im Kampf Mann gegen Mann bestens zu verteidigen gewusst. Deshalb werde ich dich jetzt in Stücke hauen, Engländer, was mich nur wegen des vielen unnütz vergossenen Blutes bekümmert!« Und mit dieser Bemerkung ging er zum Angriff über.
Augenblicklich sah sich Byron einem wilden Hagel von Hieben und Stichen ausgesetzt, denen er sich nur durch schnellen Rückzug und hastige Paraden zu erwehren wusste. Die entsetzten Rufe auf der an deren Seite der Tafel nahm er bei Draculas wütigem Ansturm nur un bewusst wahr.
Byron hatte sich immer für einen ausgezeichneten Fechter gehal ten, aber er spürte, dass er seit Wochen keine Klinge mehr in der Hand gehalten hatte und aus der Übung war. Er reagierte nicht so flüssig und schnellfüßig, wie er es von sich gewohnt war. Zu einem Teil lag das auch daran, dass diese Waffe, die er in der Hand hielt, ein viel größeres Gewicht und einen anderen Schwerpunkt hatte als die Degen, mit denen er in seinem Fechtklub auf die Kampfbahn ging.
Er hatte daher seine liebe Not, von Dracula nicht hoffnungslos in eine Ecke des Rittersaals manövriert zu werden, wo ihm kein Spiel raum mehr bleiben und er dem Ungeheuer ein leichtes Ziel für einen tödlichen Treffer bieten würde.
»Ist das schon der erste Schweiß, der da auf deiner Stirn glänzt, Engländer? Mir scheint, unser kleines Tänzchen bringt dich in Wal lung! Ich rate zu mehr Bewegung«, spottete Dracula, während er wie ein Derwisch um ihn herumtänzelte und wuchtige Schläge austeilte, die Byrons Arm wie Keulenschläge trafen und ihm Schmerzen bis hoch in die Schulter jagten. Und er erinnerte sich, was van Helsing über die Kräfte gesagt hatte, über die ein Vampir verfügte, nämlich über die von vier kräftigen Männern. Das bekam er jetzt zu spüren. Lange würde er so einen ungleichen Kampf nicht durchstehen.
Doch er behauptete sich verbissen und merkte rasch, dass sein langjähriges Training nicht umsonst gewesen war. Seine Fechtmeister hatten ihn gelehrt, auch in der Bedrängnis einen kühlen Kopf zu bewahren und mit scharfem Blick zu registrieren, welche Art von Finten, Paraden und Angriffen der Gegner bevorzugte. Von ihnen hatte er gelernt, dass die meisten sich auf einige wenige Manöver beschränkten, die sie bestens beherrschten. Es kam darauf an, diese im Ansatz zu erkennen und daraus Nutzen für einen eigenen überraschenden Konter zu ziehen.
Auch Dracula gehörte zu jenen Fechtern, die sich auf wenige Ma növer beschränkten. Er bevorzugte, wie Byron schnell feststellte, insbesondere Finten, denen ein wirklicher Angriff auf den Unterleib oder auf Kopf und Hals folgte.
»Mein Gott, so tun Sie doch endlich etwas, van Helsing!«, schrie Harriet voller Angst um Byrons Leben.
Im selben Moment sah Byron seine Chance. Denn er erkannte, dass sein Gegner wieder einmal versuchen würde, ihn durch eine Finte zu einer tiefen Parade zu verleiten, um seine Waffe dann hochzureißen und ihm die Klinge seitlich in den Hals zu schlagen.
Er setzte alles auf eine Karte, indem er vortäuschte, seinen Degen reflexartig zur Parade der Finte
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