Die Judas-Papiere
den anderen Gentlemen, die noch erwartet werden, etwas eng wer den, Sir.«
Überrascht zog Byron die Augenbrauen hoch, während er dem Kut scher seine Tasche überließ. »Welche anderen Gentlemen?« Er war ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass Lord Pembroke angesichts einer so enormen Summe, um die es hier ging, nur ihn al lein auf seinem Herrensitz erwartete.
»Mister Alistair McLean und Mister Horatio Slade, Sir. Sie sollten mit demselben Zug aus London gekommen sein wie Sie«, teilte ihm der Kutscher mit, während er ihm die stark nach außen gewölbte Tür der Equipage öffnete. »Und mir scheint, da kommen die beiden Gentlemen auch schon, Sir.«
Byron wandte sich kurz um, und was seine kritischen Augen sahen, gefiel ihm nicht sonderlich. Der eine der beiden Männer, dessen dunkelblond gelocktes Haar heute wohl noch nicht mit einem Kamm in Berührung gekommen war, schlenderte in einem völlig unpassenden Sommeranzug aus sandfarbenem Cord heran, dessen Jacke an den Ellbogen und Schultern lederne Blenden aufwies. Er sah sehr jung aus, konnte eigentlich kaum älter als achtzehn oder neunzehn sein. Unbekümmert wie ein Schuljunge pfeifend, eine bauchige Reisetasche aus abgewetztem Gobelinstoff fröhlich an seinem linken Arm hin und her schwingend und mit einem Spazierstock unter den rechten Arm geklemmt, kam er auf die Kutsche zu. Auch seine Kopfbedeckung spottete dem herbstlichen Wetter. Denn anstelle einer Melone trug er einen sommerlichen Canotier, einen flachen, steifen Strohhut, von manchen auch spöttisch »Kreissäge« oder »Butterblume« genannt!
An der Seite des jungen Lockenkopfes ging eine schlanke und be deutend ältere Gestalt, die einen guten Kopf kleiner war und in ei nem einfachen, schlecht sitzenden Straßenanzug aus dunkelblauem Wollstoff steckte, der noch weniger als ein heller Sommeranzug da zu geeignet war, um darin zu einem Besuch auf einem Herrensitz wie Pembroke Manor zu erscheinen. Der Mann trug eine runde Nickel brille, einen schmalen Schnurrbart auf der Oberlippe und das poma dig glänzende schwarze Haar glatt nach hinten gekämmt und in der Mitte gescheitelt. Sein Gepäck bestand aus einem kleinen, verbeul ten Reisekoffer mit zwei breiten, umlaufenden Lederriemen.
Die beiden in Größe sowie Alter äußerst ungleichen Männer rede ten miteinander, wobei der jüngere den Großteil der Unterhaltung bestritt und der andere sich mehr auf ein Nicken oder Kopfschütteln beschränkte. Ob sie sich schon länger kannten oder erst im Zug he rausgefunden hatten, dass sie an diesem Oktobernachmittag der Einladung desselben Mannes Folge leisteten, war jedoch nicht er sichtlich.
Byron wandte sich wieder um, stieg in die feudale Kutsche und nahm in Fahrtrichtung auf der mit weinrotem Samt bezogenenen Rückbank Platz. Ob diese beiden seltsamen Gestalten, die Seine Lordschaft offenbar auch zu sich eingeladen hatte, mit ihm und sei nem Besuch auf Pembroke Manor etwas zu tun haben könnten, dieser Gedanke kam ihm überhaupt nicht. Nichts war ihm ferner als solch eine absurde Vermutung. Er zog vielmehr das dünne, ledergebunde ne Büchlein aus der Manteltasche, mit dessen Lektüre er sich die Zeit im Zug vertrieben hatte, und schlug es auf, um weiter darin zu lesen.
Augenblicke später hörte er, wie der Kutscher die beiden »Gentle men« mit derselben steifen Höflichkeit begrüßte, mit der er kurz vorher ihn angesprochen hatte. Er nahm auch ihnen das Gepäck ab, hielt ihnen den Kutschenschlag auf und bat sie, nun doch bitte un verzüglich zu »Mister Bourke« in die Kutsche zu steigen, damit sie noch rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit auf Pembroke Manor einträfen.
Der zerzauste dunkelblonde Lockenschopf verschmähte die vom Kutscher hervorgeklappte Stange mit der Trittstufe und sprang mit einem sportlichen Satz zu Byron in die Kutsche, die in ihrer vorzüg lich gefederten Aufhängung kräftig nachwippte.
»Sie müssen Mister Bourke sein! Ich schätze, wir haben alle zu sammen das Vergnügen, dieses Wochenende Gast von Lord Pem broke zu sein!«, sagte er. Dann ließ er sich in der gegenüberliegen den Wagenecke in die weichen Polster fallen, stieß sich mit dem sil bernen Löwenkopf, der seinen Spazierstock als Knauf zierte, den flachen Strohhut weit in den Nacken, schlug die Beine in den modi schen Stiefeletten lässig übereinander und streckte ihm aus schrä ger, halb zurückgesunkener Lage seine Hand entgegen. »Mein Na me ist McLean... Alistair McLean!«
»Byron Bourke«,
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