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Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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er neugierig. »Also mich könnte nur ein geheimnisvoller Roman wie Die Frau in Weiß von Wilkie Col lins so fesseln. Obwohl einige der Sherlock-Holmes-Kriminalge schichten aus der Feder von diesem Augenarzt Arthur Conan Doyle, die seit einiger Zeit Furore machen, einen auch ganz ordentlich in Atem halten können. Ganz prächtige Lektüre, was dieser Doyle zu Papier bringt, auch wenn die Figur des Mister Watson etwas einfältig angelegt ist, wenn Sie mich fragen! Der kapiert ja nie etwas.«
    Byron seufzte geplagt, schloss das Buch und ließ es in den Schoß sinken. Die Hoffnung, bis zu ihrer Ankunft bei Lord Pembroke noch ein paar Seiten in Ruhe lesen zu können, musste er wohl fahren las sen.
    »Bei diesem Werk hier handelt es sich weder um einen billigen Schauerroman à la Wilkie Collins noch um die Geschichte eines skur rilen Detektivs mit lächerlich abstrusen Fähigkeiten der Spurendeu tung«, erwiderte er bissig, »sondern um eine gelehrte Abhandlung über einen herausragenden Denker und Mathematiker der Antike! Einen wahren Ausnahmegeist, dem auch 2 000 Jahre später noch kein anderer Mathematiker das Wasser hat reichen können!«
    »Oh, das klingt ja nach schwer verdaulicher Kost!«, erwiderte Alis tair McLean leichthin. »Und um welchen Ausnahmegeist handelt es sich denn?«
    »Um Archimedes – falls Ihnen der Name etwas sagt.« Byron hielt sich eigentlich für einen umgänglichen Zeitgenossen, der nicht zu Überheblichkeit neigte und seine Mitmenschen auch nicht an seiner eigenen Gelehrsamkeit maß. Aber in seiner Verstimmung über die penetrante Zudringlichkeit dieses jungen Schnösels hatte er sich diese böse Spitze einfach nicht verkneifen können.
    Alistair McLean grinste ihn auch jetzt noch fröhlich an. »Natürlich! Das ist doch dieser verrückte Bursche, der in einer Tonne gelebt und zu irgendeinem Störenfried ›Geh mir aus der Sonne‹ gesagt hat, weil der ihm . . .«
    »Nein, diese Legende erzählt man sich über den kynischen Philoso phen Diogenes von Sinope«, fiel Byron ihm ins Wort. »Wobei die Anekdote mit der Tonne, in der Diogenes angeblich gelebt hat, sehr wahrscheinlich auf der fehlerhaften Übersetzung eines Ausspruchs beruht, der dem römischen Stoiker Seneca zugeschrieben wird. Was Seneca wirklich gemeint haben dürfte, war wohl, dass ein Mann mit so geringen Ansprüchen wie Diogenes ebenso gut auch gleich in ei ner Tonne hätte leben können. Nein, Archimedes war der größte Ma thematiker der Antike und jener Mann, der . . .«
    »Der als alter Kauz geometrische Figuren in den Sand malte, wäh rend um ihn herum der blutige Kampf um Syrakus tobte«, warf da Horatio Slade aus der anderen Kutschenecke ein. »Das war zur Zeit des Zweiten Punischen Krieges, als die Römer Sizilien eroberten. Und als ein römischer Legionär diesem alten Kauz Archimedes bei seinen Kritzeleien in die Quere kam, da rief dieser dem Soldaten die berühmten Worte zu: ›Störe meine Kreise nicht!‹ Worauf ihn der rö mische Soldat kurzerhand totschlug.«
    Alistair McLean nickte, nicht im Mindesten beschämt über seine Verwechslung zweier legendärer Geistesgestalten der Antike. »Richtig, ich erinnere mich. Dumm gelaufen für Archimedes, würde ich sa gen. Das sollte manch einem weltfremden Gelehrten eine Lehre sein!« Und dabei warf er Byron ein freches Grinsen zu.
    »Archimedes war zweifellos ein mathematisches Genie, jedoch al les andere als weltfremd, Mister McLean«, stellte Byron sofort rich tig. »Und diese rührselige Legende, die Sie da soeben zum Besten ge geben haben, Mister Slade, und die leider seit Jahrhunderten zum Allgemeingut historischer Ammenmärchen zu zählen ist, hat wenig mit der Wahrheit zu tun.«
    Horatio Slade hob leicht die Augenbrauen und rückte seine Nickel brille höher den Nasenrücken hinauf. »So? Was Sie nicht sagen.« Sein bleistiftdünner Schnurrbart krümmte sich unter dem spitzen Lä cheln, zu dem sich sein Mund verzog. »Nun, ich nehme mal an, dass Sie uns mit einer erhellenden Erläuterung gleich aus dem erschüt ternden Zustand der Unkenntnis befreien und uns ins strahlende Licht der Erkenntnis führen werden, Mister Bourke.«
    Alistair McLean lachte belustigt auf.
    Byron überging den spöttischen Tonfall des Brillenträgers wie auch das Auflachen des jungen Flegels. »Ihrer freundlichen Bitte komme ich natürlich gern nach, Mister Slade.« Er machte eine kurze Pause. Dann erklärte er mit dem Tonfall eines Dozenten: »Archimedes, der Astronom am Hof von Syrakus,

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