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Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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Hand zitterte leicht, als er die blutbefleckte Geißel vor sich auf die Matte legte und auf Anton Tenkrads Klopfen hin rief: »Komm herein! Die Tür ist nicht verriegelt!«
    Anton Tenkrad trat ein. Er war der ranghöchste Ordensmann der Wiener Zelle, weil er in Österreich der Glaubensbewegung am längsten angehörte. Aber als einfacher Credens stand er in der Hierarchie des Ordens auf einem noch sehr geringen Rang. Das würde sich jedoch ändern, wenn er dem englischen Perfectus und persönlichen Gesandten von Bischof Mertikon dazu verhalf, das wichtige Vorhaben zu einem erfogreichen Ende zu bringen. Zum Glück war er nicht der Unglücksrabe gewesen, der sich in der Kanalisation so sträflichst hatte täuschen lassen und mit einem nutzlosen Notizbuch zurückgekehrt war. Die abgetrennte Hand war eine gerechte Strafe für Theo Krömers Versagen gewesen, obwohl bislang niemand wusste, auch der Perfectus nicht, wer ihren Ordensbruder kurz nach seinem Ausstieg aus der Kanalisation abgefangen hatte. Immerhin hatte Krömer vorher einen Blick in das Notizbuch werfen und feststellen können, dass man ihn mit einem äußerlich identischen, aber so gut wie leeren Journal übertölpelt hatte. Wer immer sie also beobachtet, verfolgt und Krömer verstümmelt hatte, befand sich demnach nicht im Besitz der geheimen Aufzeichnungen. Noch nicht. Aber die Chancen, den vier Engländern diese bei einem zweiten Versuch abzunehmen, waren an diesem Spätnachmittag wieder erheblich gestiegen.
    »Gibt es etwas Neues, Tenkrad?«, fragte Graham Baynard und mus terte ihn scharf. Seine Geduld mit den österreichischen Ordensbrü dern war auf eine harte Probe gestellt worden.
    »Ja, Perfectus, wir sind ihnen endlich auf die Spur gekommen. Es war ein hartes Stück Arbeit, aber ein Einfall, den ich heute Mittag hatte, hat uns schließlich die Information gebracht, nach der wir ge sucht haben.« Tenkrad zwang sich, seinen Stolz nicht zu zeigen, fürchtete er doch die Strafe ob einer solch schändlichen Verfehlung.
    »Komm zum Punkt, Tenkrad!«, drängte der Perfectus harsch.
    »Nachdem die anderen Nachforschungen zu nichts geführt hatten, habe ich unter einem Vorwand Erkundigungen bei den Reiseagentu ren der Stadt eingezogen«, berichtete Tenkrad. »Und bei der Wiener Filiale der englischen Agentur Thomas Cook & Son, die am Stephans platz liegt, bin ich fündig geworden!«
    »Bei Martikon von Sinope, dem erleuchteten Propheten, das hätte euch auch eher einfallen können! Aber nun gut, sprich weiter!«
    »Sie haben vier Tickets für den Orient-Express nach Konstantinopel gekauft, aber auf der Route über Bukarest, wo sie wohl einen Zwi schenstopp geplant haben. Denn ihre Abteile haben sie erst einmal nur bis dorthin reservieren lassen«, fuhr Tenkrad rasch fort. »Und zwar auf die Namen Byron Bourke, Harriet Chamberlain-Bourke, Alistair McLean und Horatio Slade.«
    »Bukarest und Konstantinopel sind nicht gerade die Orte, die ich mir gewünscht hätte«, sagte Graham Baynard verdrossen. »Aber das lässt sich nun mal nicht ändern. Wenigstens wissen wir, wo wir sie zu suchen haben. Bukarest können wir natürlich gleich vergessen. Dafür ist ihr Vorsprung schon zu groß. Aber in Konstantinopel kön nen wir sie vielleicht noch rechtzeitig erwischen, bevor sie von dort wieder verschwinden. Es sei denn, das Goldene Horn am Bosporus ist ihr endgültiges Ziel. Hoffen wir es.«
    »Was sind Ihre weiteren Anweisungen in dieser Sache, Perfectus?« Demütig neigte Tenkrad den Kopf.
    »Besorge drei Karten für den nächsten Zug nach Konstantinopel, am besten noch für den Zug am heutigen Abend!«, trug Graham Bay nard ihm auf. »Wir nehmen Breitenbach mit. Krömer, dieser Trottel, fällt ja aus. Und was Unterstützung in Konstantinopel betrifft, so werden wir dort notgedrungen auf gewisse örtliche Hilfskräfte zu rückgreifen müssen, die nicht viele Fragen stellen, wenn der Preis nur stimmt. Denn wir müssen Mortimer Pembrokes Aufzeichnungen in unsere Hände bekommen – koste es, was es wolle!«

19
    D er Wind heulte um Pembroke Manor und rüttelte an den Fenstern, als wollte er sie aus ihren Scharnieren reißen. Dazu regnete es schon seit Tagen ohne Unterlass. Wie aus den geöffneten Toren eines Stau beckens stürzten die Wassermassen vom schiefergrauen Himmel.
    Die Sonne jenseits der dunklen Wolkenfelder war nur noch zu erah nen.
    Die schwere Standuhr in Lord Arthurs Studierzimmer kämpfte mit zwölf dunklen Glockenschlägen gegen das Wüten des

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