Die Judas-Papiere
waren übrigens Deutsche.«
Alistair zuckte gleichgültig die Achseln. »Mir ist es egal, wer was geschrieben hat. Dir mag es ja eine Menge geben, Byron. Und das ist ja auch ganz in Ordnung so«, räumte er schnell ein. »Aber mit Bücher-wissen im Kopf spielt man ein mieses Blatt auch nicht besser aus und blufft nicht erfolgreicher und das ist nun mal alles, was ich wirklich gut kann. Jedenfalls hat dieser Schiller die Sache, die mir wichtig ist, genau auf den Punkt gebracht. Und es klingt doch viel freundlicher als der Satz von Nietzsche: Angewöhnung geistiger Grundsätze ohne Gründe nennt man Glauben!«
»Nicht schlecht zitiert!«, sagte Byron anerkennend. »Auf seinem Gebiet ist Nietzsche wirklich schwer zu übertreffen, das muss man ihm lassen. Und er hat ja sogar recht, insofern Glaube eine Wahrheit ist, die nicht durch empirische Wissenschaft, sondern nur durch existen zielle Erfahrung vieler Einzelner gewonnen werden kann. Aber er sollte nicht vergessen, dass der Skeptiker auf einem hohen Ross sitzt, von dem er leicht abstürzen kann, wenn er vergisst, seiner eigenen Skepsis gelegentlich mit Skepsis zu begegnen.«
Alistair grinste. »Skepsis gegenüber seiner eigenen Skepsis? Da ist dir gar kein so schlechter Stich gelungen, Byron. Du scheinst ja heute richtig in Form zu sein!«, spottete er. »Nur weiter. Wir scheinen ein vergnügliches Dinner vor uns zu haben. Also jetzt nicht passen, son dern alles rein in den Pot!«
»Ich habe nicht vor zu passen, sondern hoffe, noch besser zu wer den«, sagte Byron, der die Herausforderung nur zu bereitwillig an nahm. »Also lass uns auf Nietzsche zurückkommen. Wenn du all das, was dieser hochintelligente und geistreiche Haudrauf von sich gege ben hat, so treffend findest und zu deinem eigenen Glauben erhoben hast, dann hättest du Dracula doch eigentlich die Hand reichen und ihn bewundern müssen!«
Verdutzt sah Alistair ihn an. »Wie kommst du denn darauf? Was hat dieser Vampir mit Nietzsche zu tun?«
Auch Harriet und Horatio vermochten im ersten Moment keine Verbindung zwischen den beiden zu sehen.
Byron erklärte es ihm nur zu gern. »Nun, dein verehrter deutscher Philosoph, der so viel von dem Säurebad der Aufklärung und dem Recht des Stärkeren hält, hat doch vollmundig verkündet, dass Gott tot ist und dass dann auch alles gleichgültig ist, wenn es Gott nicht gibt.«
»Ja, schon«, stimmte Alistair ihm zu und wusste noch immer nicht, worauf Byron hinauswollte.
»Nun, wenn Gott nicht existiert, dann hat es auch nie einen göttlichen Schöpfungsakt gegeben und einfach alles, das gesamte Weltall wie die Menschen auf der Erde, ist bloß der Zufall einer im wahrsten Sinne des Wortes völlig sinnlosen Natur«, fuhr Byron fort. »Folglich gibt es dann auch keine absolute Wahrheit, die unantastbar und unveränderlich über allen noch so raffinierten menschlichen Gedankengebäuden und Moralvorstellungen steht. Das Leben wäre damit absurd und buchstäblich sinnlos. Auch wären dann Gewissen, Ethik und Moral etwas, was sich irgendjemand ausgedacht hat, weil es ihm aus irgendeinem Grund so in den Kram passt. Folglich hätte dann aber auch jeder andere das Recht, sich keinen Deut darum zu kümmern, was irgendwelche anderen Schwächlinge für ihr Zusammenleben vereinbart haben, und sich je nach Bedarf seine eigene Moral zu basteln. Wenn er das Verlangen hat, seine schwächeren Mitmenschen zu knechten oder sie sogar voller Vergnügen zu töten, weil er stärker ist als sie, und er diesem Verlangen hemmungslos nachgeht, wer hätte dann auch nur irgendein Argument, um ihm das zu verwehren?«
»Klingt logisch«, pflichtete Harriet ihm bei. »Wenn es keine absolu te Wahrheit gibt, auf die man sich berufen kann, gibt es auch keine Unterscheidung in Gut und Böse. Dann ist wirklich alles im Sinne des Wortes gleich-gültig und jeder kann mit vollem Recht, das ja dann auch nur ein hohles Wort ohne Bedeutung ist, tun und lassen, was ihm gefällt – beispielsweise sich als Vampir ein Opfer nach dem an deren holen und dessen Blut zu trinken.«
»Genau!«, sagte Byron mit einem Lächeln zu ihr hinüber. »Und wa rum sollte er es denn auch nicht tun? Dracula hätte Nietzsches Recht des Stärkeren auf seiner Seite, über den er übrigens genauso herge fallen wäre, wenn er Gelegenheit dazu gehabt hätte. Und deshalb sagte ich, dass du Dracula ob seiner Gewissenlosigkeit eigentlich be wundern müsstest, Alistair.«
Alistair machte jetzt einen recht unbehaglichen Eindruck.
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