Die Judas-Papiere
war«, erklärte der Waffenhändler. »Sie wurde 1872 schon wieder abgerissen und man hat die mächtigen Pontons sowie das andere Holz versteigert. Damals ersteigerte Ahmet Murats Vater einige dieser Pontons, aber fragen sie mich nicht, wozu die Sippe die Schwimmkörper damals benutzt hat. Als der alte Murat vor einigen Jahren verstarb, hat sein ältester Sohn, ebenjener Ahmet, vier davon miteinander verbinden und darauf sein Spielkasino bauen lassen.«
»Ist das nicht riskant, ein Kasino auf Pontons zu setzen und vor der Küste zu verankern?«, fragte Harriet.
»Ganz und gar nicht, zumal es nicht fest verankert vor der Küste liegt. Konstantinopel genießt ein verhältnismäßig mildes Klima. Schwere Stürme sind äußerst selten. Außerdem ist der robuste Schwimmkörper, auf dem das Gebäude ruht, mit einer Dampfbarkas se verbunden. Bei schwerem Wellengang oder Sturm zieht sie das Kasino einfach in die nächste geschützte Bucht, notfalls auch in ei nen der Häfen.«
»Dann bleibt nur noch die Frage, wie man zu dem schwimmenden Kasino hinkommt«, sagte Byron. »Und ob es gegebenenfalls Be schränkungen gibt, etwa in Bezug auf weibliche Gäste.«
»Beschränkungen dieser Art gibt es nicht. Murat hält sich für einen Mann von Welt, und wie ich gehört habe, sieht er ausgesprochen gern Damen an seinen Spieltischen, weil sie zumeist noch unbeson nener das Geld ihrer männlichen Begleiter setzen als diese.«
Alistair nickte mit Kennermiene. »Eine attraktive Frau am Spiel tisch und der Verstand der meisten Männer sinkt unter die Gürtelli nie!« Und bevor Harriet ihm mit einer bissigen Bemerkung zuvor kommen konnte, fügte er grinsend hinzu: »Was natürlich nicht für erfahrene Zocker gilt.«
»Natürlich, mein Herzblatt!«, sagte Harriet. »Alles andere hätte in mir auch eine Welt zusammenbrechen lassen!«
»Geöffnet wird das Kasino bei Sonnenuntergang«, fuhr Basil Sahar fort. »Wohl eine verschämte Konzession an die Imame und Mullahs und die strengen Fastenzeiten des Ramadan. Die reichen Spieler kommen gewöhnlich mit ihrem eigenen Boot. Ahmet Murat unter hält aber auch eine kleine Flotte von Kaiks, die etwas bequemer als die gewöhnlichen Ruderboote sind. Sie liegen an verschiedenen An legestellen für seine Kunden bereit, die einen besonderen Reiz da ran finden, sich auf diese Weise zu seinem Etablissement bringen zu lassen.«
»Na, dann wissen wir ja, was wir heute Abend vorhaben!«, sagte Alistair beschwingt.
»Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich mich Ihnen gern an schließen«, sagte Basil Sahar. »Es ist wohl an der Zeit, mir mal mit ei genen Augen anzusehen, womit sich Ahmet Murat da eine goldene Nase verdient.«
»Ich wüsste nicht, was wir dagegen haben sollten«, versicherte By ron. Es wäre unhöflich gewesen, ihm diesen Wunsch abzuschlagen. Es sprach auch nichts dagegen, ihn an ihrer Seite zu haben. Denn dieser erste Besuch würde sowieso nur dazu dienen, sich mit der Örtlichkeit vertraut zu machen und herauszufinden, was die »Stim me des Propheten« war und wie sie ihr Mortimers Geheimnis entlo cken könnten.
»Das freut mich, Mister Bourke. Ich bin nämlich nun selbst gespannt, was es mit dieser ›Stimme des Propheten‹ auf sich hat«, gestand Basil Sahar. »Vermutlich ist es irgendeine alte Koranabschrift. Wie es heißt, soll Ahmet Murat ja auf so alte Stücke ganz versessen sein.« Er lächelte geringschätzig. »Überall auf der Welt schmückt man sich ja gern mit edlen und seltenen Dingen und gibt sich als Kunstkenner, wenn man seinen Reichtum eher unedlen Dingen verdankt.«
Das war das Stichwort für Horatio, auf das er nur gewartet hatte. »Sie sagten vorhin, er sei angeblich ein Mörder. Gibt es dazu auch ei ne Geschichte, die Sie uns erzählen können?«, fragte er. Denn je mehr sie über Ahmet Murat wussten, desto besser würden sie ihn einschätzen und sich auf ihr Vorhaben einstellen können.
»Er ist nicht nur angeblich ein Mörder, sondern hat mit absoluter Si cherheit Blut an den Händen«, versicherte Basil Sahar. »Als etwa ein Jahr nach der Eröffnung des Kasinos ein anderer es ihm gleichtun und ihm Konkurrenz machen wollte, hat er diesen auf der Straße zur Rede gestellt. Dabei ist es dann zu einer heftigen Auseinanderset zung gekommen, bei der Ahmet Murat plötzlich ein Messer gezogen und ihn vor einem halben Dutzend Zeugen mit tödlichen Stichen niedergestochen hat. Als es zum Prozess kam, wollten die einen wundersamerweise nichts gesehen haben, während
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