Die Judas-Papiere
zwei andere steif und fest behaupteten, der andere hätte zuerst zum Messer ge griffen und Murat eindeutig in Notwehr gehandelt. Und so wurde der Lump freigesprochen. Dass es den sechs Augenzeugen hinterher finanziell erheblich besser ging und sie in angenehmere Wohnviertel umziehen konnten, versteht sich natürlich von selbst. Und seitdem wagt es keiner, ihm mit einem noblen Spielklub Konkurrenz zu ma chen.«
»Dann wollen wir uns diesen Murat und seine schwimmende Las terhöhle heute Abend mal in aller Ruhe anschauen«, sagte Alistair vergügt. »Mal sehen, ob wir dabei auch auf die ominöse ›Stimme des Propheten‹ stoßen, was immer das auch sein mag!«
4
D ie beiden muskelbepackten Männer in ihren kurzen bestickten Westen brauchten kaum Kraft aufzuwenden, um das große Kaik wie einen vom Bogen abgeschossenen Pfeil durch die Fluten dahinflie gen zu lassen. Die starke Strömung des Bosporus nahm ihnen ein Großteil der Arbeit ab. Auf dem Rückweg würde es anders aussehen, da würden sie sich kräftig in die Riemen legen müssen, um ihre Fahr gäste gegen den herandrängenden Strom ebenso schnell wieder zu rück an die Landungsstege von Galata und Stambul zurückzubrin gen.
Das Goldene Horn machte seinem Namen im verglühenden Licht der untergehenden Sonne alle Ehre. Über der nur schwach bewegten Oberfläche lag ein rotgoldenes Funkeln. Und die Kuppeln der Mo scheen von Stambul leuchteten, als glühten sie von innen heraus. Al lein die Spitzen der himmelstürmenden Minarette fingen noch einen letzten Rest helles Licht auf. Doch bald waren auch die Gebetstürme nur noch in mattes Abendrot gehüllt, während die Schatten der he reinbrechenden Nacht das goldene Flimmern auf dem Wasser schon hatten erlöschen lassen.
In der Stadt flammten nun elektrische Lichter und Gaslaternen in den wohlhabenderen Vierteln auf. In den vom Schicksal weniger be vorzugten Teilen von Konstantinopel wurden Pechfeuer, Petroleum lampen und Kerzen entzündet. Der klare Nachthimmel spendete da zu das kalte Glitzern seiner fernen Sterne.
Das Haus des Glücks lag eine knappe halbe Meile vor der Südwest küste von Stambul und etwa auf der Höhe des alten Serail. Es war unschwer zu verfehlen, denn lampionähnliche Laternen hingen rundum von der Dachkante des zweistöckigen Gebäudes herab. Ihr Licht verriet trotz ihres schwachen Scheins, dass in ihnen Glühbirnen brannten. Als sie näher kamen, hörten sie auch das laute Rattern eines Generators, der auf dem Achterdeck der bulligen Barkasse unter einem kastenförmigen Überbau aufgestellt war. Dicke Kabel verbanden ihn mit dem Kasino auf den Pontons.
Das Haus war aus Holz errichtet und imitierte den Baustil eines al ten osmanischen Palastes. Die Säulen, Zierstreben, Rundbögen und äußeren Wasserbecken waren jedoch nur angedeutet, eigentlich nichts weiter als geschickt aufgesetzte und bemalte Attrappen, die allein bei Dunkelheit die Illusion eines palastartigen Baus hervorru fen konnten. Auch das verschlungene Gitterwerk der Fenster mit sei nen arabischen Motiven war nichts weiter als geschickte Laubsäge arbeit, die vor das Glas gesetzt worden war. Eine Kuppel wölbte sich über der Mitte des Daches. Doch was bei Nacht wie blaue Kacheln aussah, erwies sich bei Tag als die raffinierte optische Täuschung ei nes kunstfertigen Malers.
Auf all das wies Basil Sahar sie hin und bemerkte dann abfällig: »Mehr Schein als Sein, das war schon immer Murats Devise. Bin ge spannt, wie viel Talmi und anderen optischen Bluff er im Inneren zu bieten hat!«
Sie waren längst nicht die Ersten, die schon zu dieser frühen Nacht stunde am Haus des Glücks von Bord eines Kaiks gingen. Vor ihnen stiegen gerade zwei Gruppen, zu denen auch europäisch gekleidete Frauen gehörten, aus ihren Zubringerbooten. Es lag auch schon ein halbes Dutzend Privatboote unterschiedlicher Größe an der ihnen zugewandten Seite des Kasinos vertäut. Livrierte Diener in westlich anmutenden, frackähnlichen Uniformen mit reichlich viel Goldknöp fen halfen den Ankommenden, sicher aus den Booten zu steigen. Die Musik bekannter Operettenmelodien, die den manchmal kratzen den Nebengeräuschen nach von einem Grammofon kam, drang zu ihnen in die Nacht heraus.
»Murat scheint sich bei allem zu bedienen, was Okzident und Orient zu bieten haben, um einheimischen wie westlichen Besu chern eine saftige Portion Exotik vorzugaukeln«, spottete der Waf fenhändler.
Durch einen mit Schnitzwerk verzierten, doppelflügeligen Rund
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