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Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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Gepäck kommen, Mister Bourke«, sagte Trevor Seymour, der ihm zuerst seine Unterkunft zuwies. »Wenn Sie Fragen haben oder irgendetwas benötigen, lassen Sie es ihn wissen. Er wird sich der Sache sofort annehmen. Um ihn zu rufen, betätigen Sie bitte den Klingelknopf dort neben der Tür. Er wird Sie auch um halb sieben abholen und in den Salon des Westflügels bringen. Wün sche einen angenehmen Aufenthalt, Sir.«
    »Nun ja, man wird sehen«, murmelte Byron voll dunkler Ahnung. Seiner herrschaftlichen Unterkunft, die aus einem Schlafzimmer mit vorgelagertem privatem Salon sowie einem bequemen Waschkabi nett bestand, schenkte er wenig Beachtung. Einem anderen hätte die Ausstattung der Zimmer den Atem geraubt. Doch materieller Lu xus hatte ihm noch nie etwas bedeutet und zudem war er viel zu sehr in Gedanken versunken, um die verschwenderische Ausstattung der Räume bewusst wahrzunehmen: die herrlichen Teppiche auf dem Parkett, die weinroten Tapeten mit dem aufwendigen orna mentalen Muster, die vergoldeten Zierleisten, die kunstvollen Stuck arbeiten mit dem Deckenfries aus goldenen, mit Schwingen bewehr ten Löwen, die alten Gemälde, die schweren Polstermöbel, die Bro katvorhänge vor den hohen Fenstern, das Bett mit den vier ge schnitzten Pfosten, die einen Himmel aus feinstem Musselin trugen, und was sonst noch alles zur Einrichtung seines geräumigen Gäste quartiers gehörte.
    Unruhig ging er auf und ab, nachdem der Hausbedienstete Percy seine Reisetasche gebracht und darauf bestanden hatte, deren Inhalt in Schrank und Kommode zu räumen. Während die Dunkelheit ihr schwarzes Tuch über das Land und das monströse Bauwerk von Pem broke Manor warf, zermarterte er sich das Gehirn.
    Was konnten sein drohender finanzieller Ruin, den er zweifellos einer Intrige von Lord Pembroke verdankte, und die »kleine Gefällig keit«, für die Pembroke die enorme Summe von 25 000 Pfund zu zahlen bereit war, bloß mit diesen beiden fremden, recht gewöhnlichen Männern Horatio Slade und Alistair McLean sowie diesem jungen eigensinnigen Wildfang namens Harriet Chamberlain zu tun haben?
    Byron konnte es nicht abwarten, endlich mit jenem Mann zusam menzutreffen, der seine Zukunft und die seiner Schwestern in Hän den hielt, und von ihm zu erfahren, was sich hinter all diesen myste riösen Vorgängen verbarg. Gleichzeitig jedoch wuchs in ihm das Ge fühl der Beklemmung – und mit ihr die Ahnung, dass in dieser Nacht etwas Schicksalhaftes geschehen würde. Etwas, das sein Leben völlig aus der Bahn werfen und nach dem nichts mehr so sein würde, wie er es bislang gekannt und geschätzt hatte.

3
    A ls der Hausdiener Percy pünktlich um halb sieben vor seiner Tür im Osttrakt erschien und Byron ihm durch den langen Mittelteil hinüber in den Westflügel folgte, glaubte er, seinen Augen kaum trauen zu können. Denn in diesem Teil von Pembroke Manor beherrschten nicht klassische Marmorstatuen und Büsten sowie traditionelles engli sches Mobiliar das Bild der Zimmerfluchten und langen Flure, son dern im Licht der wenigen, flackernden Gaslampen stieß Byron auf ein verstörendes Gemenge von seltenen und skurrilen Sammlerstü cken.
    Es handelte sich jedoch nicht um eine wissenschaftlich zusammengestellte Sammlung, die unter einem alles verbindenden Oberbegriff stand wie etwa »Die Lebenswelt des Mittelalters« oder »Die Völker zwischen Euphrat und Tigris«. Die Objekte, die sich in den Räumen, Fluren und sogar auf den Treppenaufgängen gegenseitig den Platz streitig machten, kamen auch nicht aus einem ethnisch oder geografisch klar begrenzten Kulturkreis. Das beklemmende Durcheinander war vielmehr von der Sammelwut eines reichen Mannes gekennzeichnet, eines Mannes, der buchstäblich aus allen Ecken der Welt Kunst, Kitsch und Kurioses sowie Schauerliches zusammengetragen hatte.
    Ausgestopftes Großwild, von den Löwen Afrikas, über die Tiger Indiens und bis hin zu den Grizzlybären Nordamerikas, fand sich überall. Aber nicht als prachtvolle Einzelstücke, die wirkungsvoll präsentiert wurden, sondern man stieß auf sie zu Dutzenden. Und mitten zwischen diesen majestätischen Tieren standen wahllos Holzpuppen, von denen einige von Kopf bis Fuß in die gepanzerte Rüstung eines Kreuzritters gekleidet waren und blitzende Schwer ter in den Händen hielten, während andere die Waffen und Klei dung mongolischer Stammesführer zur Schau stellten. Zwischen den Beinen dieser Mongolen lauerten riesige Kaimane mit weit auf gerissenem Maul,

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