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Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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lag.
    Er zermarterte sich wieder das Gehirn, worin in Gottes Namen bloß die »kleine Gefälligkeit« bestehen mochte, die allein ihn vor dem Sturz in die Mittellosigkeit bewahren konnte. Auch quälte ihn die Frage, warum Lord Pembroke ihn nicht unter vier Augen emp fing, sondern ihm die Gesellschaft dieser beiden fremden Männer und der überaus unschicklichen Miss Chamberlain zumutete.
    Außerdem war es ihm ein Rätsel, weshalb sie sich ausgerechnet in diesem abscheulichen Salon hatten einfinden müssen. Dabei gab es doch im Ostflügel und insbesondere im lang gestreckten Haupttrakt, wie er hatte sehen können, mehr als genug Räume, die nicht so ein gerichtet waren, als wären sie einem Albtraum entsprungen!
    Die trockene Stimme des Butlers holte ihn aus seinem Grübeln und ließ ihn herumfahren, als sie, förmlich wie der Hofmarschall beim Empfang an einem Fürstenhof, verkündete: »Miss Chamberlain . . . Gentlemen . . . Seine Lordschaft Arthur Pembroke!«

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    D er asketisch hagere Butler, dessen kurzzeitiges Verschwinden By ron überhaupt nicht bemerkt hatte, schob Lord Pembroke zur Über raschung aller in einem Rollstuhl in den Salon.
    Der Herr von Pembroke Manor, der einen eleganten Hausmantel aus dunkelblauer Seide und mit breiten smaragdgrünen Revers trug, war ein Mann in den Endvierzigern und von kräftiger, aber etwas gedrun gener Gestalt. Sein Gesicht mit der breiten Kinnpartie hatte etwas Kantiges, fast Quadratisches, sodass das runde, goldgefasste Mono kel im linken Auge wie ein Fremdkörper wirkte. Sein Haupthaar hat te sich auf der Stirn und an den Schläfen schon weit zurückgezogen und eine Halbglatze zurückgelassen. Aber das rötliche Haar seines breiten Backenbarts, der sich bis zum Kinn hinunterzog und ein Gut teil der hässlichen Hautflechte auf der rechten Gesichtshälfte ver barg, wuchs dicht und buschig wie verfilztes Gestrüpp.
    Horatio Slade und Alistair McLean stellten rasch ihre Drinks ab und erhoben sich aus ihren tiefen Fauteuils. Dagegen zeigte Harriet Chamberlain keinerlei Anstalten, ihrem Gastgeber den nötigen Res pekt zu zollen und aufzustehen. Ihre bislang schon sehr verschlosse ne Miene trug nun einen trotzigen, ja fast feindseligen Ausdruck.
    »Ah, ich sehe, wir sind vollzählig!«, rief Arthur Pembroke leutselig, während Trevor Seymour ihn im Kreis der schweren Lehnsessel mit dem Rollstuhl in der für ihn gedachten Lücke platzierte. Mit einem kurzen Zucken der linken Braue befreite er das Monokel und es fiel ihm in den Schoß. »Miss Chamberlain . . . Gentlemen, bitte nehmen Sie doch wieder Platz!« Dass Harriet Chamberlain sich erst gar nicht erhoben hatte, schien er nicht bemerkt oder bewusst übersehen zu haben.
    Die beiden Männer setzten sich wieder und Byron begab sich nun zu ihnen hinüber, um in dem letzten freien Sessel Platz zu nehmen. Damit hatte er Harriet Chamberlain zu seiner Linken und Lord Pembroke zu seiner Rechten, während Horatio Slade und Alistair McLean ihm gegenübersaßen.
    »Ich hoffe, ich habe Sie nicht über Gebühr warten lassen!«, sagte Lord Pembroke in unbeschwertem Plauderton. »Meine leidige Gicht, der ich immer öfter das zweifelhafte Vergnügen eines Lebens im Rollstuhl verdanke, hat mir wieder einmal mit einem recht verdrieß lichen Anfall in Erinnerung gebracht, dass dieses nasskalte englische Wetter Gift für meine Knochen ist!« Und zu seinem Butler gewandt, fügte er übergangslos hinzu: »Einen doppelten Single Malt, Trevor!«
    »Sehr wohl, Mylord«, antwortete Trevor Seymour steif und begab sich hinüber zum Barschrank.
    Für einen kurzen Moment trat eine unnatürliche, angespannte Stil le ein. Jedem der vier Gäste lagen drängende Fragen auf der Zunge. Doch keiner wollte der Erste sein, der in Gegenwart von drei Frem den auf die persönlichen Umstände zu sprechen kam, die seiner Ein ladung zugrunde lagen – und die nicht so beschaffen waren, dass man sie gern in aller Öffentlichkeit ausbreitete.
    Arthur Pembroke schien die starke Anspannung nicht wahrzuneh men. Seine Lordschaft blickte vielmehr mit einem heiteren Lächeln in die Runde seiner Gäste und wartete ab, bis ihm der Butler seinen Single Malt gebracht hatte.
    Als der Butler dann den Salon verließ und dabei die Doppeltüren hinter sich zuzog, erkundigte Lord Pembroke sich wie ein besorgter Gastgeber, ob sie mit ihrer Unterbringung zufrieden seien und ob die drei Gentlemen die gemeinsame Kutschfahrt dazu genutzt hät ten, sich näher miteinander bekannt zu

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