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Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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unter die Kopfjäger ge raten«, frotzelte auch Horatio Slade, der gerade aus einem Lederbeutel losen Tabak in den Kopf einer Meerschaumpfeife stopfte. »Einfach unfassbar, was für eine monströse Welt einen hier im Westflügel erwartet, finden Sie nicht auch? Streckenweise nimmt sich jedes kommerzielle Gruselkabinett gegen diese irrwitzige Ansammlung von schauerlichen Beutestücken so aufregend aus wie eingeschlafene Füße! Und sogar hier, in diesem sogenannten Salon, ist man von dieser grotesken Sammlung umgeben!«
    Byron pflichtete ihm mit einem wortlosen Nicken bei. Er hatte sich noch nicht näher umgesehen. Doch um zu wissen, dass er der obsku ren Sammlung auch in diesem Raum nicht entkommen würde, dafür genügte schon ein erster kurzer Rundblick. Und dieser fiel auf eine Gruppe von fellbespannten Buschtrommeln, auf ein wildes Durch einander von Macheten, Steinschlosspistolen, Steinäxten, Krummsä beln, indischen Dolchen mit schlangenförmigen Klingen, Nilpferd-peitschen und Masken sowie auf dicht nebeneinanderhängenden Fotografien an den Wänden, auf Räuchergefäße und tibetanische Gebetsmühlen, auf Glasvitrinen und Bücherschränke mit alten Foli anten, Brevieren, Papierrollen und Pergamenten – und auf einen Schwarm ausgestopfter Fledermäuse. Diese Kreaturen der Nacht hingen mit weit ausgebreiteten Flügeln, aufgerissenen Mäulern und riesenhaften, spitzen Ohren zwischen einem Gewirr von gebündel ten Trockenkräutern und Knoblauchknollen von der Decke herab.
    »Unser Gastgeber muss ein vielseitig interessierter Mann mit ei genwilligem Geschmack sein!«, sagte Alistair McLean, leerte sein Glas und bedeutete dem Butler, ihm noch einmal das Gleiche zu bringen.
    »Und was darf es für Sie sein, Mister Bourke?«, erkundigte sich der Butler mit staubtrockener Stimme hinter dem Dreiviertelkreis der vier schweren Sessel. »Darf ich auch Ihnen einen Drink bringen, Sir?«
    Byron nickte. »Einen Cognac kann ich jetzt wohl gut vertragen«, sagte er und ihm fiel nun auf, dass in dem Kreis der Sessel eine Lü cke klaffte und dort ein Fauteuil fehlte, nämlich jener für Lord Pem broke.
    »Sehr wohl, Sir.«
    Byrons Blicks ging zu der jungen Frau, die bislang noch keinen Kommentar abgegeben hatte. Schweigend und mit übereinanderge schlagenen Beinen saß Harriet Chamberlain in ihrem Lehnsessel, drehte nervös ihr Glas zwischen den feingliedrigen Händen und starrte in die bernsteinfarbene Flüssigkeit, als suche sie auf dem Grund ihres hochprozentigen Drinks nach der Antwort auf eine sie bedrängende Frage. Ihr oval geschnittenes, anmutiges Gesicht unter der exakt stufig geschnittenen Pagenfrisur sah sehr blass und sehr angespannt aus.
    Im nächsten Moment stellte Byron ein wenig pikiert fest, dass sie es nicht für nötig erachtet hatte, sich nach ihrem Ausritt umzuzie hen. Das galt zwar auch für die beiden Männer, die mit ihm in der Kutsche nach Pembroke Manor gefahren waren. Aber immerhin tru gen sie Anzüge, wie bescheiden diese auch sein mochten. Dagegen steckte Miss Chamberlain noch immer in ihrem sehr männlichen Reitdress aus Breeches und kniehohen Schaftstiefeln sowie einer stark taillierten Reitjacke mit Stehbündchen und Überrock. All das brachte zwar ihre schlanke Figur und ihre weiblichen Rundungen au genfällig zur Geltung, war jedoch keineswegs die Garderobe, in der man in einem Herrenhaus vor dem Dinner auf einen Drink zusam menkam und sich seinem adligen Gastgeber präsentierte.
    Der Butler brachte den Cognac und bot Byron Zigarren aus einem Humidor an. Byron nahm das schwere Glas entgegen, wählte eine Zigarre aus, rollte sie prüfend zwischen den Fingern und ließ sich Feuer geben, nachdem er beide Enden kurz mit den Lippen befeuchtet hatte und die Spitze des Mundstückes unter der rasiermesserscharfen Schneide des Cutters gefallen war.
    Byron war nicht danach zumute, sich jetzt schon zu den anderen zu setzen. Er ging ein wenig im Raum umher und gab sich den An schein, sich für die Fotografien und den Inhalt der Vitrinen zu inte ressieren.
    In Wirklichkeit beachtete er kaum das widerwärtige und unästheti sche Durcheinander von alten Münzen, aufgespießten Schmetterlin gen, gebleichten Knochen, auf Ketten aufgezogenen Raubtierzäh nen, orthodoxen Kruzifixen, liturgischen Gerätschaften, mit Nadeln durchstochenen Voodoo-Puppen, Fruchtbarkeitsfetischen in Form von getrockneten tierischen Geschlechtsteilen und was da sonst noch alles kreuz und quer unter dem Glas der Vitrinen verstreut

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