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Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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sich Mortimer denn nicht ein gewöhnliches Kloster für seine Ikonen aussuchen können?«, grollte Alistair. »Diese Klöster sehen ja wie trutzige Festungen aus, so richtig mit Wehrtürmen und Zinnen!«
    »Sie sind nach Art byzantinischer Kastelle wie Festungen gebaut, weil sie eben genau das sein sollten, in Kriegszeiten zum Schutz ge gen plündernde und marodierende Heere und in Friedenszeiten ge gen Räuberbanden und Piraten, die jahrhundertelang das Mittel meer unsicher gemacht haben«, sagte Horatio. »Deshalb war eine unangreifbare Lage bei der Wahl des Bauplatzes genauso wichtig wie Weltabgeschiedenheit.«
    »Die Karten fallen eben manchmal nicht so, wie man es gerne hät te«, erwiderte Harriet. »Du müsstest das doch wissen.«
    Er grinste sofort. »Ein wahres Wort. Und wir werden schon das Bes te aus dem Blatt machen, das uns der Irre zugeteilt hat.«
    »Ich glaube, jetzt wird es allmählich Zeit, dass wir mit deiner Ver kleidung beginnen«, sagte Horatio.
    Sie hatten im Hafen von Kum-Tale alles bekommen, was sie dafür brauchten. Als Harriet umgezogen aus ihrer Kabine kam, hatte sie bis auf die Gesichtszüge fast alles Weibliche verloren. Sie steckte in schweren Stiefeln, einem nicht sehr feinen Winteranzug aus grober rostbrauner Wolle, trug einen weiten Umhang mit ausgepolsterten Schultern und einen Filzhut mit breiter Krempe. Aber mehr noch ver änderten sie die in dunkles Horn gefasste Brille mit den runden, unge schliffenen Gläsern und die Mullbinden, die sie sich rechts und links zwischen Unterkiefer und Wange gestopft hatte. Damit sahen ihre Wangen nun wie Hamsterbacken aus, die ihre zarten Gesichtszüge verunstalteten und zusammen mit der Hornbrille und den dunklen Augenschatten wenig von ihrem anmutigen Äußeren übrig ließen.
    »Fehlt nur noch der Bartwuchs, holder Jüngling«, spottete Alistair bei ihrem Anblick. »Pass bloß auf, dass dir keiner der Kuttenträger ei nen unsittlichen Antrag macht. Einige dieser heiligen Männer sollen ja eine geheime Vorliebe für zarte Jünglinge haben, besonders wenn sie so eine glatte Haut haben wie du!«
    Harriet versetzte ihm einen spielerischen Schlag mit ihrem Spa zierstock und sagte mit brummig dunkler Stimme: »Und du halte dei ne Lästerzunge im Zaum!«
    Was auf dem Fahrplan der Xerxes als Hafen von Karyäs verzeichnet gewesen war, entpuppte sich als eine bescheidene Anlegestelle mit einer Mole und einem kleinen Wachtturm darauf, die den Schiffen in der Bucht von Daphni bei schlechtem Wetter ein wenig Schutz ge ben sollten. An der Mole lag ein knappes Dutzend kleiner Fischer boote vertäut und einige Ruderboote verteilten sich über den steini gen Strand. Dahinter fiel der Blick auf einige kleine, schuppenähnli che Hütten. Das war alles. Eine richtige Ortschaft, geschweige denn eine Stadt existierte in der Bucht nicht. Karyäs, der Hauptort der Mönchsrepublik, lag vielmehr gute anderthalb Stunden weiter land einwärts.
    »Da sind auch schon die Mönche, die darüber wachen, dass keine Frau den heiligen Berg betritt«, raunte Horatio, als sie von Bord gin gen. Dabei deutete er verstohlen auf die beiden langbärtigen Mön che in schwarzen Kutten, die unten am Fuß der Gangway schon war teten.
    Sie schritten den Laufsteg hinunter, Harriet an vorletzter Stelle und mit heftig klopfendem Herzen.
    Die beiden Mönche musterten sie mit verschlossener, fast abweisender Miene, als hätten sie am liebsten jeden Besucher, auch alle männlichen, gleich wieder davongejagt. Aber die Zeiten hatten sich geändert und es lag nicht länger in ihrem eigenen Ermessen, wer Athos betreten durfte und wer nicht. Zumindest was die Halbinsel betraf. In ihren Klöstern herrschten sie dagegen noch immer mit al ler Strenge gegenüber Fremden. Viele verschlossen sich konsequent vor ihnen.
    Es verstrichen einige bange Augenblicke, als sie vor den beiden Mönchen standen. Aber glücklicherweise fiel denen nichts Verdäch tiges auf und sie ließen sie passieren.
    Schnell war ein Maultiertreiber gefunden, der sie auf seinen trittsi cheren Tieren über den Pfad in die Berge führte. Der zweieinhalb stündige Weg führte sie durch Lorbeerhaine, in denen sich ein wür ziger Duft in die kalte Luft mischte, und durch Wälder voller Ahorn, Eichen und Platanen, die tiefe abendliche Schatten warfen. Sie trab ten auf der steinigen Strecke auch an einem Kloster vorbei, das an ei nem ausgetrockneten Bachbett lag und im Dämmerlicht wie ein düs teres Kastell wirkte.
    Sie erreichten Karyäs

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