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Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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gerade noch rechtzeitig, bevor die Nacht den Athos in tiefe Finsternis hüllte. Die kleine Mönchsstadt mit ihren weiß gekalkten Häusern, Kirchen und Kapellen lag inmitten von Gär ten und säumte die bewaldeten Höhen.
    Zimmer waren in einem der einfachen Gasthöfe um diese Jahres zeit schnell gefunden. Sie brachten ihr Gepäck auf die Zimmer und nahmen in einer dunklen Ecke des Schankraums ein einfaches Abendessen ein. Dazu tranken sie geharzten Wein, der einiger Ge wöhnung bedurfte, um ihm etwas abzugewinnen, wie Horatio es treffend und mit säuerlicher Miene formulierte.
    Am nächsten Morgen besorgten sie sich eine Wanderkarte von der Halbinsel, die auf billigem Papier miserabel gedruckt war, aber ihren Zweck erfüllte. Dabei stießen sie auch auf ein dünnes Heftchen, das auf Deutsch abgefasst war. Es enthielt die kurz gefasste Geschichte verschiedener Klöster, Auskünfte darüber, welche bedeutenden Werke der Ikonenkunst sie hinter ihren Mauern verbargen, und zu ihrer freudigen Überraschung auch die Grundrisse mehrerer dieser Anlagen. Der Grundriss von Simonopetra gehörte zu dieser Auswahl. Obwohl das verschlafene Städtchen alles andere als von geschäftigem Treiben beherrscht war, setzten sie sich doch vorsichtshalber außerhalb des Ortes an einen sonnenbeschienenen Hang und studierten die ihnen vorliegenden Informationen.
    »Kein Wunder, dass man Mortimer mit seiner kostbaren Ikone in Simonopetra hereingelassen hat«, sagte Byron, als er der Broschüre entnahm, dass 1891 ein Brand schwere Schäden im Kloster angerich tet und einen Großteil der Ikonensammlung vernichtet hatte. »Sein Geschenk muss ihnen nach dem verheerenden Feuer höchst will kommen gewesen sein.«
    Horatio interessierte sich mehr für den Grundriss der Klosteranla ge. »Das hier ist die Westmauer, die zum Meer hin ausgerichtet ist«, erklärte er, während sein Finger über die einzelnen Abschnitte der Zeichnung fuhr. »Ein Stück hinter dem Kodonostassion, dem Glocken turm, der sich aus der Westmauer erhebt, kommt das Katholikon.«
    »Das was ist?«, fragte Alistair.
    »So wird die Hauptkirche bezeichnet, sie liegt immer im Zentrum der Hofanlage«, erklärte Horatio, der sich ganz in seinem Element fühlte. »Und diese feine Linie im hinteren, nach Osten weisenden Drittel des Katholikons stellt die wandhohe Ikonostase, den Bildnis halter dar. Sie trennt den Naos vom dahinterliegenden Bema.«
    »Fang nun bloß nicht an, Byron nachzuahmen und uns langatmige Lektionen über orthodoxen Glauben und Kirchenarchitektur zu hal ten!«, warnte Alistair ihn.
    »Das Bema ist das Allerheiligste mit dem Altar, wo der Gottesdienst gefeiert wird. Der Naos ist der Raum vor der Ikonenwand, wo sich die Mönche während des Gottesdienstes verteilen!«, erklärte Horatio mit ein wenig Groll in der Stimme. »Und all das, mein Freund, wirst auch du dir gut einprägen. Denn wenn wir in Simonopetra ein steigen, was zweifellos nur nachts und zwischen den vielen Gebetszeiten der Mönche möglich sein wird, dann musst auch du genau wissen, wo wir uns gerade befinden und wo die Ikone zu suchen ist!«
    »Das werde ich schon«, versicherte Alistair ein wenig kleinlauter. »Aber dass ich dir hinterher noch all die Fachbegriffe herunterbete, wirst du ja wohl nicht von mir verlangen, oder?«
    »Lasst uns überlegen, von welcher Seite wir uns dem Kloster am besten nähern«, sagte Byron und breitete die Wanderkarte von Athos aus.
    »Zum Glück liegt Simonopetra ja nicht allzu weit von Karyäs ent fernt«, sagte Harriet, als sie die beiden Punkte auf der Karte markiert hatte. »Sieht nach ungefähr zehn, elf Kilometern aus. Was rund sechs bis sieben Meilen entspricht. Das ist leicht in zwei Stunden pro Weg strecke geschafft.«
    »Das glaube ich nicht, denn wir reden hier von bergigem Gelände, das uns nicht vertraut ist, und schon gar nicht bei Nacht!«, wandte Byron sofort ein. »Einen Führer können wir uns für unser Vorhaben ja schlechterdings nehmen.«
    »Das bezweifle ich auch«, meinte Horatio. »Außerdem halte ich nichts davon, irgendwo vorn am Tor zu versuchen, über die Mauer zu steigen.«
    »Und warum nicht?«, wollte Alistair wissen.
    »Ich habe mich lange genug mit der Ikonenkunst und diesen Klöstern beschäftigt, um zu wissen, dass auf Athos ein Klostereingang dem einer mittelalterlichen Festung gleicht«, sagte Horatio. »Er be steht fast ausnahmslos aus einem Doppelportal, einer Innen-und Außentür mit einem überdachten Zwischenteil, den man

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