Die Judas-Papiere
hinauf!«, rief Horatio seinen Freunden zu und reichte Byron das Fernglas. »Auf dem kommen wir zum Kloster!«
»Aber bestimmt führt er um die Anlage herum und nach vorn zum Klostertor«, befürchtete Harriet.
Byron richtete das Fernglas auf den felsigen Pfad, der sich hinter dem Bootshaus über kühn überhängende Terrassen mit Orangen-und Zitronenbäumen emporwand. »Notfalls wird uns gar nichts an deres übrig bleiben, als es doch von vorne zu versuchen«, sagte er, als er das Fernglas absetzte.
Horatio nahm es sofort wieder an sich, um das letzte Licht zu nut zen.
»Noch besteht kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen, Freunde«, sagte er zuversichtlich. »Denn wenn mich meine Augen nicht täusch ten, kommen wir bei dem dritten Schieferklotz nahe genug an einen der untersten Balkone heran!«
Als sich die anderen davon überzeugen wollten, trieben jedoch Ne belschleier an den Mauern vorbei und verwehrten ihnen die Sicht auf das, was Horatio entdeckt haben wollte. Und bevor die Nebelfelder diesen Teil der Anlage wieder freigaben, legte sich Dunkelheit über die Küste.
»Ihr müsst mir schon vertrauen«, sagte er. »Und jetzt lasst uns an Land gehen und die Brote essen, die wir mitgebracht haben. Ein paar Stunden werden wir noch warten müssen. Erst wenn das Kloster im Schlaf liegt und wir bis zu den Vigilien Zeit genug haben, um einzu steigen, können wir uns da hinaufwagen.«
Spiros Konstantinos brachte sein Boot abseits von Anlegestelle und Bootshaus in einem schmalen Küsteneinschnitt an Land und zog es ein Stück ans Ufer hoch. Dann setzten sie sich auf die Felsen, pack ten ihr mitgebrachtes Essen aus und übten sich in Geduld.
Immer wieder warfen sie einen Blick auf ihre einfachen Taschenuhren aus Messing, die sie mit der Männerkleidung für Harriet in Kum-Tale erstanden hatten. Dann war endlich die Zeit gekommen, um sich auf den Weg zu machen. Sie holten die beiden Seile, die eine Stärke von doppelter Fingerbreite besaßen und jeweils hundert Fuß lang waren, aus den Säcken sowie den kleinen Anker, der für ein Ruderboot gedacht war und den sie mit den Seilen in Karyäs erstanden hatten.
Byron und Alistair warfen sich je eine Seilrolle über die Schulter, Harriet nahm den Bootsanker an sich und Horatio klemmte sich sei ne Tasche unter den Arm. In ihr befanden sich eine Petroleumleuch te und ein Teil seiner Gerätschaften, mit denen ihm in England im mer wieder das Eindringen in gut gesicherte Herrenhäuser gelungen war.
Kopfschüttelnd sah Spiros Konstantinos ihnen nach, als sie über die Felsen in die Bucht mit dem Bootshaus hinüberkletterten und dann auf dem felsigen Pfad verschwanden.
5
U nter angespanntem Schweigen folgten sie dem schmalen Band des steilen Weges, der sich durch dichtes Tamariskengebüsch schlängelte und an den Terrassen vorbeiführte. Die nebelige Dunkel heit erforderte von ihnen höchste Wachsamkeit, wohin sie ihren Fuß setzten.
Immer näher rückten die grauweißen Steilwände des Klosters. Und je näher sie ihnen kamen, desto höher und unerreichbarer erschienen ihnen die am Fels klebenden Galerien der untersten Fensterreihe.
Als die himmelwärts strebende Schieferwand des dritten Turms nur noch einen guten Steinwurf von ihnen entfernt lag, bog der Pfad scharf nach rechts ab. Zweifellos, um auf der Südseite um die kastell artige Anlage herum und nach vorn zum Tor zu führen.
Fast wäre es ihnen in der Dunkelheit entgangen, dass sich der Pfad hier aufgabelte. Horatio, der jedoch mit solch einer Abzweigung ge rechnet hatte, bemerkte es noch im letzten Moment.
»Halt! Hier geht es lang!«, raunte er. »Diese Abzweigung muss uns zu der Steintreppe bringen, die ich vorhin entdeckt habe und die zu einer Pforte in der Umfassungsmauer hochführt!«
»Wo soll denn hier ein Pfad sein?«, fragte Alistair leise.
»Er ist hier!«, versicherte Horatio und bog Zweige eines Gebüsches zurück. »Er ist nur etwas zugewachsen, weil er wohl schon lange nicht mehr benutzt worden ist.«
»Was nicht unbedingt die Hoffnung nährt, dass wir auf ihm bis hoch zur Pforte kommen!«, sagte Harriet.
»Aber vielleicht doch hoch genug für unser Vorhaben«, erwiderte Horatio und schritt voran.
Wenig später gelangten sie zu einem buschbestandenen Hang, der in die aufsteigende Schieferwand überging. Eine schmale Treppe aus Felsgestein führte steil an der Mauer nach oben. Sie bot gerade einer Person ausreichend Platz und verfügte über kein Geländer zum Ab grund hin.
»Ich wusste
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