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Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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Schulter, ver knotete den Hanfstrick oberhalb des Geländerbalkens um den Pfos ten und ließ das Seil so herunterbaumeln, dass seine Freunde sofort danach greifen konnten, sowie sie den Kragbalken erreicht hatten.
    »Jetzt bist du an der Reihe«, sagte Harriet zu Byron. »Alistair kann das Seil halten, während ich mir schon mal die Petroleumlampe an den Gürtel hänge.«
    Es kostete Byron einiges an Überwindung, Horatio in solch schwindelerregende Höhe zu folgen. Sein Stolz verbot es ihm jedoch, jetzt zu kneifen, zumal sie es dank des zweiten Seils ja um einiges leichter hatten als Horatio. Er hielt sich an Harriets Rat, dabei besser nicht nach unten zu schauen. Doch sein Herz raste wie wild, während er das Seil hinaufkletterte. Und bevor er eine Hand vom Seil löste, um höher zu fassen, vergewisserte er sich, dass seine Füße und die andere Hand das Seil mit aller Kraft umklammert hielten. Oben am Kragbalken gab es noch einen kritischen Moment, doch da beugte sich Horatio auch schon zu ihm herunter, griff mit einer Hand in seine Jacke, packte ihn mit der anderen am Handgelenk und zog ihn zu sich auf die Galerie.
    »Allmächtiger!«, stöhnte Byron leise auf, rutschte schnell von der Kante weg und lehnte sich, nach Atem ringend, an die Wand. »Worauf haben wir uns da bloß eingelassen! Und das mir, für den bis lang das größte Abenteuer darin bestand, ein seltenes Buch in einer Bibliothek aufzustöbern!«
    »Du hast das doch blendend gemacht, Byron! Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben!«, flüsterte Horatio vergnügt.
    »So was hätte ich mir aber nie im Leben träumen lassen!«
    Alistair auch nicht, der nun als Nächster folgte. Harriet hatte ihm klargemacht, dass er im Gegensatz zu allen anderen frei über dem Abgrund pendeln würde, wenn er sich als Letzter ans Seil hängte. Und auf der Treppe zurückzubleiben, konnte er ebenso wenig mit seinem Stolz vereinbaren wie Byron. Aber auch er schaffte es ohne größere Probleme zu ihnen auf die Galerie, wenn auch keuchend und mit reichlich blassem Gesicht.
    Um Harriet brauchten sie sich keine Sorgen zu machen. Ihr berei tete das anfängliche Pendeln des Seils über der Tiefe keine Schwie rigkeit. Sie kletterte so flink und mühelos wie Horatio zu ihnen he rauf und brauchte auch keine Hilfe, um sich über den Rand zu schwingen.
    »So, da sind wir ja alle wieder in trauter Gemeinschaft versam melt«, raunte sie, löste den Drahtbügel der Petroleumlampe von ihrem Gürtel und zog eine Schachtel Streichhölzer hervor.
    »Dreh den Docht aber gleich so weit runter, wie es nur geht!«, sag te Horatio und faltete die Seite mit dem Grundriss von Simonopetra auseinander, die er aus der Broschüre über die Athos-Klöster heraus gerissen hatte. »Erst müssen wir uns sicher sein, wo wir uns über haupt befinden und dass die Luft auch rein ist, bevor wir mit hochge drehter Flamme durch das Kloster spazieren!«
    »Erzähl uns jetzt bloß nicht, dass hinter dieser Wand lauter Mönchszellen liegen und wir uns an den schlafenden Männern von Athos vorbeischleichen müssen!«, raunte Alistair beunruhigt.
    Horatio schüttelte den Kopf. »Nein, die Zellen müssen sich alle in dem Gebäude auf der anderen Seite des Innenhofs befinden, wenn ich das richtig sehe. Dummerweise geht diese Karte nicht allzu sehr in die Details.«
    Er warf im schwachen Licht der entzündeten Lampe noch einen letzten Blick auf die Karte. Dann nickte er, worauf Harriet den Docht wieder so weit herunterdrehte, dass die Flamme gerade noch mit schwachem Schein brannte.
    »Bleibt erst mal hier. Ich sehe mich um, wo wir am besten einstei gen«, flüsterte er, schlich geduckt an der Wand entlang und spähte durch die Fenster.
    »Mein Gott, der Balkon schwankt ja bei jeder Bewegung wie eine Barke in bewegter See!«, raunte Alistair, als die Galerie in leichtes Schwingen geriet.
    »Bitte verschone uns mit deinem Unken!«, zischte Harriet.
    Wenig später winkte Horatio, der indessen etwa die Mitte der lan gen Galerie erreicht hatte, die anderen zu sich. »Hier geht es in einen Flur!«, flüsterte er, als sie sich zu ihm geschlichen hatten. »Und das Fenster steht auf. Ich denke, diese Einladung nehmen wir an!«

6
    S ie kletterten einer nach dem anderen durch das offen stehende Fenster und folgten dem Gang bis zur Tür an seinem Ende. Horatio öffnete sie vorsichtig, spähte in die Nacht hinaus, lauschte einen Au genblick angestrengt in die Dunkelheit und nickte zufrieden. »Die Luft ist rein! Vor uns liegt der

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