Die Judas-Papiere
Haus in Kairo, kein anderes Hotel könnte das ›Nobelzelt der Cooknomaden‹ sein.«
»Dennoch sollten wir uns vielleicht noch einen guten Reiseführer kaufen und noch mal alle Hotels der ersten Klasse durchgehen«, sag te Harriet, denn in Saloniki hatten sie einen Reiseführer für Ägypten nicht auftreiben können. »Bestimmt gibt es einen Baedeker nebenan in der Agentur von Thomas Cook zu kaufen. Der ist in solchen Dingen immer am zuverlässigsten.«
Sie erledigten die Formalitäten am Empfang, ließen sich von der Hotelleitung einweisen und sich dann von einem Hoteldiener zu ih ren Zimmerfluchten bringen, in denen man sich verlieren konnte.
»Also mir ist nach den langen Tagen auf See und der Zugfahrt nach Bewegung zumute!«, verkündete Harriet, als sie wenig später wieder zusammenkamen. »Ich möchte jetzt einen langen Spaziergang ma chen und mir ein wenig die Stadt ansehen.«
»Eine fabelhafte Idee!«, sagte Byron sofort.
Horatio zeigte jedoch kein Interesse. »Ich glaube, ich halte ein klei nes Nickerchen. Mir steckt das ewige Geschaukel der Hellas noch in den Knochen.«
Auch Alistair war für einen längeren Spaziergang nicht zu begeistern. »Geht ihr beiden Hübschen nur spazieren«, sagte er mit einem wissen den Grinsen. »Ich werde mal nachschauen, was sich in der Bar so tut.«
Harriet und Byron waren alles andere als enttäuscht, nun einige Stunden allein verbringen zu können. Der Concierge unten am Emp fang hatte schnell einen dragoman, einen einheimischen Führer, für sie besorgt und empfahl ihnen, als erste Unternehmung in Kairo ei nen Gang hinauf zu der Zitadelle und auf den Ausläufer des Mokat tam zu machen.
»Von dort haben Sie einen wunderbaren Ausblick, insbesondere bei diesem ungewöhnlich klaren Himmel heute«, versicherte er. »Ganz Kairo liegt Ihnen da oben zu Füßen. Und Sie können von dort über den Nil und in die Wüste bis zu den Pyramiden blicken.«
Sie nahmen seinen Rat dankend an und begaben sich in die Obhut des kleinen, flinken Dragoman, der sich zu ihrer Erleichterung nicht als aufdringlich erwies. Als sie ihm zu verstehen gaben, dass sie nicht an ausschweifenden Informationen über dieses oder jenes Bauwerk interessiert waren, weil sie erst einmal nur die neuen Eindrücke auf sich wirken lassen wollten und zudem einiges zu besprechen hatten, zeigte er sich nicht beleidigt. Er beließ es mit kurzen Hinweisen und hielt später auch ein wenig Abstand, um ihnen nicht das Gefühl zu geben, er lausche ihrem persönlichen Gespräch. Dass sie einander innig zugetan waren, war nicht zu übersehen, hielten sie sich doch die ganze Zeit an der Hand.
Den ersten Teil des Weges quer durch Kairo zur Zitadelle, die sich am südöstlichen Rand der Stadt erhob, machten sie mit einer offe nen Kutsche. Auf dem großen Roumeleh-Platz nahe der Sultan-Ha san-Moschee stiegen sie aus und setzten ihren ersten Erkundungs gang zu Fuß fort.
Auf turbanartig kreisenden Wegen passierten sie kurz darauf die alte Zitadelle mit ihren gewaltigen Mauern, Toren und Türmen, die im Jahre 1166 angeblich mit den Steinquadern kleiner Pyramiden in Giseh gebaut worden war, und die Mohammed-Ali-Moschee, die von Saladin auf dem letzten Ausläufer des kahlen Mokkatam errichtet worden war. Sie strahlte Selbstbewusstsein und orientalische Majes tät aus, wie sie dort an den kahlen Hügel gelehnt stand.
Dann lag die Stadt wahrhaftig zu ihren Füßen, zwischen der Wüste und den grünen Ufern des Nil, die Königin der arabischen Städte. Un ter ihnen im Vordergrund fiel der Blick auf den Roumeleh-Platz und die prachtvolle Fassade der Sultan-Hasan-Moschee, schwarzbraun ge färbt wie das Antlitz eines stolzen Beduinen, der sich nur dem Gesetz der Wüste verpflichtet fühlte. Ein gutes Stück dahinter ragte das mas sige Minarett der Ibn-Tulun-Moschee in den Himmel, um das sich eine Wendelteppe wie ein versteinerter Schlangenleib in die Höhe wand.
»Sieh nur! Dorthinten! Die Pyramiden von Giseh!«, rief Harriet und zog aufgeregt an Byrons Hand. »Was für gewaltige Bauten müssen das sein, dass man sie sogar aus dieser Entfernung noch sieht! Wir müssen sie uns unbedingt ansehen und vielleicht auch besteigen, wenn das möglich ist!«
Zärtlich drückte er ihre Hand. »Dir ist es bestimmt möglich. Aber ob ich mir das zumuten werde, weiß ich noch nicht. Denn wie ich vorhin einem Gespräch zweier Gäste in der Hotelhalle entnommen habe, soll eine Pyramidenbesteigung reichlich anstrengend sein, weil die Blöcke der
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