Die Judas-Papiere
Dass sein Nachname Shepheard war, liegt ja wohl auf der Hand. Aber nun ratet mal, wie sein Vorname lautet!«
»Samuel?«
Alistair nickte. »Voll ins Schwarze, Harriet! Da ist ein Foto von dem Burschen drin, mit schwarzem Rauschebart und einem reichlich affigen Fez, dessen mit Troddeln verzierte Quaste ihm bis über das Ohr herunterhängt«, sagte er und schob ihnen den Hotelprospekt zu. »Wenn es in seinem Nachnamen nicht diesen einen Buchstaben zu viel gäbe, hieße er ja ›Shepherd‹, also ›Hirte‹. Und im übertragenen Sinn ist ein Hotelbesitzer ja auch so eine Art Hirte, der über das Wohlergehen seiner zahlenden Schäfchen wacht. Es passt alles bestens zusammen.«
»Ausgezeichnet, Alistair!«, sagte Byron anerkennend.
»Und da Mortimer also dieses von Samuel Shepheard gegründete Hotel meint«, fügte Horatio hinzu, »liegt es auch auf der Hand, was das ›goldene Buch der Eitelkeit‹ sein muss – nämlich das Gästebuch, das man berühmten und hochgestellten Persönlichkeiten gibt, damit sie sich darin verewigen. Einem berühmten Lord wie Mortimer Pem broke hat man es bestimmt auch vorgelegt. Der nächste Hinweis auf das Versteck dürfte demnach in seiner Eintragung im Gästebuch zu finden sein!«
»Na, was sagt ihr jetzt?«, fragte Alistair stolz wie ein Pfau. »Während ihr euch da draußen verlustiert habt, haben wir hier das Rätsel gelöst!«
»Da kann man mal sehen, zu welch überragenden Leistungen du fä hig bist, wenn du die Finger von den Karten lässt!«, spottete Harriet. »Denn wenn du an der Bar ›Pokerfreunde‹ gefunden hättest, wären wir jetzt noch keinen Schritt weiter.«
»Wie dem auch sei – wir sind kaum ein paar Stunden in Kairo und das Rätsel ist gelöst! Das lasse ich mir gefallen«, sagte Byron aufge kratzt und erhob sich. »Dann wollen wir doch mal sehen, ob man uns das Gästebuch aushändigt, damit wir uns Mortimers Eintrag in aller Ruhe ansehen können.«
»Die Story mit der Biografie über Mortimer, an der du angeblich ar beitest, dürfte uns auch hier weiterhelfen«, meinte Horatio.
Byron stimmte ihm zu. »Insbesondere, wenn ich durchblicken las se, dass Mortimer von seinen Aufenthalten im Shepheard’s stets in den höchsten Tönen geschwärmt hat und dies natürlich auch in mein Buch einfließen soll«, sagte er verschmitzt.
»Aber diesen Samuel Shepheard gibt es nicht mehr«, teilte Alistair ihm mit. »Das Hotel gehört mittlerweile einer Gesellschaft namens Compagnie Internationale des Grands Hotels und sein derzeitiger Direk tor ist ein gewisser Pascal Lambert.«
»Danke für die Information«, sagte Byron. »Es ist immer gut, wenn man gleich den richtigen Namen zur Hand hat und den Eindruck macht, ein Kenner der Materie zu sein. Horatio, du kommst als mein Illustrator mit. Aber es würde wohl eher einen seltsamen Eindruck machen, wenn wir zu viert erscheinen und um Begutachtung des Gästebuches bitten.«
»Macht das nur ihr beide«, sagte Alistair grinsend. »Ich habe mei nen Teil schon hinter mir!«
Byron begab sich mit Horatio in die Halle zum Empfangschef und erzählte ihm die Lügengeschichte, der zufolge er von Lord Arthur Pembroke beauftragt sei, eine Biografie seines im letzten Jahr ver storbenen Bruders, des berühmten Forschers und Weltreisenden, zu verfassen und dafür alle relevanten Einzelheiten seines bewegten Le bens zusammenzutragen.
Der Empfangschef zeigte sich auch sofort kooperativ und holte das schwere Gästebuch, dessen Ledereinband tatsächlich mit goldenen Arabesken geschmückt war, aus seinem Büro. »Wenn Sie mir den unge fähren Zeitpunkt von Lord Mortimers letztem Besuch bei uns mitteilen können, wird sein Eintrag schnell zu finden sein, Mister Bourke.«
Byron überlegte kurz. »Den Informationen seines Bruders nach müsste er etwa zur selben Zeit des vorletzten Jahres hier Gast gewe sen sein, also im Dezember.«
»Oh, dann wird Ihnen dieses hier leider nicht von Nutzen sein«, bedauerte der Empfangschef. »Wir haben nämlich schon im September letzten Jahres ein neues Gästebuch beginnen müssen, weil das andere voll war. Und an die Bücher aus früheren Jahren komme ich leider nicht heran, Mister Bourke.«
»Darf ich nach dem Grund fragen?«, erkundigte sich Byron.
»Direktor Lambert bewahrt die alten Gästebücher in seinem per sönlichen Tresor auf, weil sie einen hohen Wert für unserer Hotel darstellen«, teilte ihm der Empfangschef mit. »Nur er hat einen Schlüssel zu diesem Panzerschrank. Bedauerlicherweise
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