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Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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mit klopfendem Herzen durch den niedrigen Ziegelbogen in die finstere, stinkende Röhre.
    Niemand von ihnen bemerkte die Gestalt, die ihnen im Schutz der nebeligen Nacht gefolgt war und noch einige Augenblicke wartete, bevor sie sich aus dem Dunkel des Hauseingangs löste, zum Gully huschte, den Deckel vorsichtig anhob und erst eine Weile in die Tiefe des Schachtes lauschte, bevor auch sie sich an den Abstieg machte.

9
    S ich in tief gebückter Haltung und leichter Kniebeuge durch die Ka nalröhre zu bewegen, war anstrengend und kostete immer mehr Überwindung, je tiefer sie eindrangen. Zu der Ungewissheit, was sie in diesem abscheulichen Reich der Finsternis wohl noch erwarten mochte, kamen der Gestank und die ekelhafte Brühe, durch die sie wateten. Es roch nach Fäkalien, Moder und Fäulnis und man entkam dem üblen Geruch nur, wenn man ausschließlich durch den Mund at mete.
    Schon nach zwanzig Schritten brach Byron der Schweiß aus allen Poren. Der Drang, auf der Stelle umzukehren und so schnell wie möglich wieder nach oben ins Freie zu klettern, wurde immer stär ker. Aber er biss die Zähne zusammen und unterdrückte das Verlan gen, die Flucht zu ergreifen und dieser klaustrophobischen Welt zu entkommen. Um keinen Preis wollte er sich vor den anderen blamie ren, insbesondere nicht vor Alistair – und noch weniger vor Harriet!
    Er keuchte vor Anstrengung und die Petroleumleuchte, deren fla ckernder Schein über die nassen, glitschigen Kanalwände tanzte, schwenkte in seiner zitternden Hand hin und her. Dann und wann blitzte von hinten in dem verglasten Trichter von Alistairs Holzkas ten das helle elektrische Licht auf. Mehrfach scheuchten sie mit ih ren Lampen Ratten auf, die wie Schatten vor ihnen davonhuschten.
    Nicht ein Wort fiel. Byron hörte nur das Platschen der Gummistie fel durch das Kloakenwasser und den schweren, schnellen Atem sei ner Gefährten. Er nahm an, dass sie mit denselben Ängsten und Be klemmungen zu kämpfen hatten wie er, während sie der sanft ab wärts führenden Abwasserröhre folgten.
    Von irgendwo aus einer fernen Tiefe drang ein dunkles, seltsam singendes Geräusch zu ihnen empor, das eine ganz eigene monoto ne Melodie zu haben schien. Es war ein unheimliches, fremdes Geräusch.
    Ein schwacher, angenehm frischer Luftzug wehte Byron plötzlich entgegen. Das Licht seiner Lampe hob vor ihm einen gemauerten Rundbogen aus der Finsternis.
    »Wir haben das Ende der Röhre erreicht! Gleich liegt das Schlimms te hinter uns! Dann können wir aufrecht stehen!«, stieß er hervor.
    Sie gelangten in einen Kanal, der mehrere Schritte breit und schon etwas höher war. Aber nun reichte ihnen das Wasser fast bis an die Knie. Harriet versank sogar bis an die Oberschenkel im Strom der Ab wässer, der nach den Regenfällen der vergangenen Tage eine ziemli che Gewalt hatte. Schmutziger Schaum und allerlei Unrat trieben durch den Schein ihrer Lampen, unter anderem auch die Kadaver von mehreren Ratten. Sie hielten sich dicht an der Wand, wo die Strö mung nicht ganz so heftig an ihnen zerrte.
    »Wenn die Strömung noch stärker wird und wir durch noch tiefe res Wasser waten müssen, kann es für uns gefährlich werden!«, mel dete sich Horatio besorgt. »Und wir müssen ja auch noch den ganzen Weg zurück zur Lerchengasse. Da könnten wir an die Grenzen unse rer Kräfte kommen!«
    »Keine Sorge«, sagte Byron. »In der Nähe der Halle wird es be stimmt einen Ausstieg nach oben geben.«
    »Und warum hat Mortimer Pembroke ihn dann nicht gleich als Ein stieg angegeben?«, grollte Harriet.
    »Frag einen Verrückten nach dem Grund seines Tuns und du wirst wohl kaum eine vernünftige Antwort erhalten!«, sagte Horatio.
    »Verdammt noch mal, Bourke!«, rief Alistair. »Wo bleibt endlich dieser Hauptkanal, von dem Sie gesprochen haben und wo dann auch die verdammte Halle mit dem Menetekel sein soll?«
    Byron hielt seine Skizze in das Licht der Petroleumleuchte. »Weit kann es nicht mehr sein.« Er gab seiner Stimme einen festen, zuversichtlichen Klang, doch insgeheim quälte auch ihn die bange Frage, ob er sie tatsächlich auf dem richtigen Weg führte.
    Alistair lachte sarkastisch auf. »Nicht mehr sehr weit? Diese Ant wort kann vieles bedeuten!«
    »Warten wir es ab! Mister Bourke wird schon keinen Fehler ge macht haben«, kam es besänftigend von Horatio.
    Wenige Dutzend Schritte später vollführte der Abwassergang ei nen weiten Rechtsbogen und mündete in einen erheblich breiteren und auch höheren

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