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Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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Kanal.
    »Ich habe es doch gesagt! Wir sind goldrichtig!«, rief Byron erleich tert. »Das muss der Ottakringer Bachkanal sein, der in den Sammel kanal der Wien mündet! Und da vorne führen Stufen zu einem Steg hoch! Das heißt, wir kommen aus dem Abwasser heraus!«
    »Gebe Gott, dass es so ist und wir nicht mehr weiter durch diese Suppe waten müssen!«, stieß Harriet gequält hervor.
    Augenblicke später standen sie mit schweißglänzenden Gesich tern und nach Atem ringend auf dem schmalen Asphaltsteg des Ot takringer Bachkanals. Zu beiden Seiten der gut vier Schritte breiten Abflussrinne zog sich solch ein Gehweg an der Wand entlang, die sich erst ein gutes Stück über normaler Kopfhöhe zu wölben begann.
    »Ein zweites Mal kriegt mich keiner in so eine verfluchte Kloake!«, stöhnte Alistair, während er in die Hocke ging und sich mit dem Rü cken gegen die Wand lehnte. »Auch nicht für 5 000 Pfund!« Die dun kelblonden Locken klebten ihm klatschnass auf der Stirn und seine Hand zitterte sichtlich, als er zu seiner Packung Gold Flake griff und sich eine Zigarette anzündete.
    »Na, hier riecht es doch schon um mehrere Güteklassen besser«, sagte Horatio mit Blick auf das vorbeirauschende Wasser, das nun zum größten Teil aus den klaren Fluten des Ottakringer Baches be stand. Aus dem tiefschwarzen Dunkel kam von überall her das Brausen und Tosen von stürzenden Wasserfluten. Es war eine unheimliche, Furcht einflößende Melodie, die sie in dieser feuchtkalten Unterwelt umgab, in der die Temperatur im Sommer wie im Winter stets bei etwa zehn Grad Celsius lag.
    Sie gönnten sich eine Atempause von ein, zwei Minuten. Dann gab Byron das Zeichen zum Weitermarsch. Sie stapften in ihren Watstie feln an weiteren röhrenartigen Zuflüssen vorbei, über deren Ein flussrinnen schmale Holzstege oder Metallgitter führten. Wasser tropfte von der gewölbten Decke und sickerte aus dem Mauerwerk und das montone Rauschen aus der Ferne wurde lauter, je näher sie der Mündung des Ottakringer Bachkanals in den Sammelkanal der Wien kamen.
    Als das Licht von Byrons Lampe in eine Überlaufrinne zu ihrer Lin ken fiel, zuckte er im ersten Moment erschrocken zusammen. Denn in der finsteren Wölbung blitzten die Augen von Dutzenden Ratten auf.
    »Himmel, hier wimmelt es ja von diesen Biestern!«, entfuhr es Har riet, die hinter ihm ging.
    Wenig später passierten sie erneut einen schmalen, aber manns hohen Seitenkanal, der schon kurz hinter seiner Einmündung einen scharfen Bogen machte, sodass man vom Bachkanal aus nicht sehr weit in ihn hineinsehen konnte.
    Kaum waren sie an ihm vorbei, als Alistair, der am Ende ihrer Vie rerreihe ging, einen scharfen Zischlaut von sich gab.
    Byron blieb stehen und blickte sich zu ihm um. »Was ist?«
    »Habt ihr das gehört?«, raunte Alistair.
    »Was?«, fragte Harriet leise.
    »Mir war so, als hätte ich hinter mir ein verdächtiges Geräusch gehört«, flüsterte Alistair und schnippte seine Zigarettenkippe ins Was ser, wo die Glut mit leisem Zischen erlosch. »Ein merkwürdiges Kratzen und Schaben und etwas, das wie platschende Schritte klang!«
    »Du meinst, uns folgt jemand?«, fragte Horatio alarmiert. Er leuch tete mit seiner Lampe den Gang hinunter, den sie gekommen waren.
    Jeder dachte sofort an den Mann mit dem Nasenkneifer, der Hora tio auf der Fähre und auf dem Wiener Nordbahnhof verdächtig vor gekommen war.
    »Aber hätten wir dann nicht hinter uns ein Licht sehen müssen?«, fragte Harriet wispernd.
    »Bei dieser pechschwarzen Finsternis kann jemand nur zehn, zwölf Schritte hinter unserem Lichtschein gehen und wir würden ihn nicht sehen, ihm aber mit unseren Lampen den Weg leuchten«, erwiderte Alistair.
    Im nächsten Moment fiel das Licht von Horatios Petroleumlampe auf eine zerlumpte Gestalt, die aus dem Seitenkanal getreten war. Es handelte sich um einen hageren Mann, der einen langen Stock mit einem Sieb an seinem Ende in den Händen hielt, einen schmutzigen Beutel über der Schulter trug und mit offenem, zahnlosem Mund zu ihnen herüberstarrte. Langes, fettiges Haar klebte ihm im ausgemer gelten Gesicht.
    »Wer bist du, Bursche?«, rief Horatio scharf. »Folgst du uns etwa?«
    »B-b-bei allen Heiligen, n-n-nein!«, stieß der Mann hastig hervor und hob abwehrend die freie Hand. »Ich b-b-bin der Sch-sch-schind ler Josef und F-f-fettfischer! D-d-das hier ist m-m-mein Revier, Herr!«
    Byron und seine Gefährten atmeten erleichtert auf. Sie wurden nicht verfolgt, sondern

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