Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
Gemeinde – vor allem eines, das der Kirche Geld spendete – log, war es unziemlich, ihm das während der Beichte auf den Kopf zu zu sagen. Besser, man brachte etwas vor wie: »Vielleicht irren Sie?« Oder: »Da muss ein Missverständnis vorliegen.« Oder: »Ich bin ein wenig verwirrt.« Nein, es war keine Sünde, ein wenig zu schwanken, dem Thema auszuweichen, sich ein wenig zu winden (vielleicht wie eine Schlange, äh, danke für die Beobachtung, Josua). Es ging eben darum, Wahrheit und Takt miteinander zu verbinden.
Auf diese Perle der Weisheit hatte Josua bei der ersten Gelegenheit geantwortet: »Aber die Menschen sagen mir, dass ich hässlich bin. Bin ich etwa nicht hässlich?« Pater Jussef wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Denn Josua war tatsächlich hässlich. Sein Gesicht wirkte wie das eines Mannes, den man in einen Betonmischer gesteckt hatte. »Na ja, du bist nicht hässlich«, antwortete Pater Jussef (und setzte damit
seinen
Wahrheitsbegriff durch), »aber vielleicht bist du nicht gut aussehend.« Josua hatte laut gelacht über die Lüge. Er wusste, was er war: Das, was Gott – genauer gesagt: sein Vater und seine Mutter – eines Sonntagnachmittags kurz vor dem Gottesdienst gezeugt hatten – ein hässliches Kind, aber nichtsdestoweniger ein Kind Gottes.
»Was für einen Grund sollte der Patriarch denn haben, Josua sehen zu wollen?«
Die Männer überlegten. Der Patriarch war das Oberhaupt der koptischen Kirche. Und ein Mann mit einem riesigen Ego, wie es sich für seinen kirchlichen Rang gehörte. Zweifellos sprachen ihn sogar Engel ehrfürchtig an. Schließlich wusste er ja, wo er spirituell stand. Aber taten
sie
das auch?
»Da muss eine Verwechslung vorliegen.«
Jussef schüttelte heftig den Kopf – wodurch er hoffte, einen Funken Erleuchtung zu entfachen. »Er muss hier irgendwo stecken. Hilf mir, ihn zu finden!«
Gemeinsam begaben sie sich zum Seminargebäude, das hinter der Kirche lag und in dem die Priester und Priesterzöglinge wohnten. Josua war nicht da, die vier anderen Priesterschüler (sehr viel jüngere Männer) hatten ihn den ganzen Morgen noch nicht gesehen. Also begaben sich die beiden Priester zum Gemüsegarten, wo zwischen den Olivenbäumen und Palmen Gemüse angebaut wurde. Auch dort niemand. Eine längere Suche auf dem Kirchengelände brachte weder einen Lebenden noch einen Toten zum Vorschein. Jussef sah auf die Uhr; ihnen lief die Zeit davon. Sich aber zum Treffen mit dem Patriarchen zu verspäten war undenkbar. Da kam einer der Zöglinge angelaufen und rief: »Josua steht draußen auf der Straße. Er spricht mit einer Frau.«
»Einer Frau?« Jussef schürzte die Lippen und brachte damit sein starkes Missfallen zum Ausdruck. Nicht, dass Josua etwas anstellen würde, aber es war wieder mal ein Beispiel für sein mangelndes Taktgefühl. Jeder wusste, dass der Mund der Frauen größer war als die Tore zur Hölle. Und sie Schenkel hatten, die die Frömmigkeit aus einem Mann schneller herauspressen konnten als jahrelange Predigten. Rasch verließ Jussef die Sakristei und ging die Seitenstraße entlang. Er gelangte an eine Kreuzung zweier Hauptstraßen. Auf beiden stockte der Verkehr. Schließlich erspähte Jussef seinen widerspenstigen Schützling inmitten des Verkehrschaos. Er redete tatsächlich mit einer Frau – noch dazu mit einer jungen und hübschen. Sie war die Tochter eines Gemeindemitglieds, eines Taxifahrers. Dessen Ehefrau war vor einigen Jahren verstorben. Als Jussef sich ihnen näherte, sah ihn die junge Frau und sagte etwas zu ihrem Gesprächspartner. Josua drehte sich um und stellte den Neuankömmling breit lächelnd vor.
»Das ist Pater Jussef. Mein Freund und Lehrer.«
Ein Betrachter, der es geschafft hätte, nicht vom Verkehr mitgerissen zu werden, hätte drei Menschen auf dem Bürgersteig gesehen und Fußgänger, die an ihnen vorbeiströmten wie Wasser an den Steinen eines Flussbetts. Er hätte Jussef bemerkt, einen schlaksigen Mann im braunen Gewand eines Priesters. Sein einziger Schmuck, abgesehen vom voluminösen Vollbart, bestand aus einem kleinen Holzkreuz an einer Halskette. Der andere Mann, Josua, trug ebenfalls eine braune Kutte, war aber viel kleiner als sein Gefährte, muskulös und bartlos. Auch war er hässlich. Warum? Der Empfänger der großzügigen Gaben seiner Eltern hatte eine niedrige Stirn, eine breite Nase und ein Kinn, das sich rundete, so dass er eine Art Mondgesicht hatte, aus dem zwei fast schwarze Augen
Weitere Kostenlose Bücher