Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
Gesicht, auf dem sich Angst und ein paar Schweißperlen zeigten, spiegelte sich die neuerliche Demütigung sofort. Sein Ego bekam einen noch größeren Knacks als beim letzten Mal. Trotzdem: Es war nicht alles so schlimm, wie es schien. Die Hand war auch gegen den Bischof gerichtet, und in der Tat machte der Assistent des Patriarchen keine Anstalten, den Raum zu betreten.
»
Allein.
Seine Eminenz will ihn allein treffen.«
Josua betrat die Sakristei. Am Fenster, in vollem Kirchengewand, stand Seine Eminenz Makarios V. Wie alle Oberhäupter der koptischen Kirche trug er ein so reiches Ornat und war mit so viel Gold und Geschmeide behängt, dass es sogar dem Allmächtigen imponiert hätte. Ich bin ein heiliger Mann, und so bin ich auch gekleidet! Um die siebzig und langjähriger Einwohner von Alexandria war der Patriarch nicht nur im Vollbesitz seiner Kräfte, sondern hatte auch jedes klerikale Problem erlebt – und überlebt. Nichts brachte ihn aus der Fassung. Besser: fast nichts. Als er den Priesterzögling in der nicht allzu sauberen Kutte und mit einem Gesicht, das in einer Menschenmenge mühelos untergegangen wäre, vor sich sah, war er doch irritiert.
»Sie sind Josua?«
»Ja.« Josua streckte die Hand aus. Das Kirchenoberhaupt machte jedoch keine Anstalten, sie zu ergreifen.
»Ich bin verwundert.« Der Patriarch trat einen Schritt vom Fenster weg. »Können Sie sich vorstellen, warum der Papst gerade Sie sehen möchte?«
»Nein.«
»Nun, er möchte Sie treffen«, erwiderte der Patriarch und nahm einen Brief vom Tisch. »Aber warum kennt er Sie überhaupt?«
Josua zuckte die Achseln. Worauf das Oberhaupt der koptischen Kirche den Kopf schüttelte. Die Wege Gottes! Er hob die Stimme. »Schicken Sie den Priester herein!«
Jussef hatte vor der Tür gewartet und dem Bischof in erbarmungswürdiger Manier erklärt, dass sie aufgrund einer Reihe bemerkenswerter und völlig unvorhersehbarer Ereignisse nicht pünktlich erscheinen konnten – Ereignisse, die vermutlich seit Erschaffung der Welt nicht stattgefunden hatten. Als da waren die Schwierigkeit, Josua ausfindig zu machen, ein so enormer Verkehrsstau, wie ihn Alexandria seit zweitausend Jahren nicht erlebt hatte, ein Taxifahrer, der sich überhaupt nicht auskannte und vermutlich geistig minderbemittelt war, ein …
»Gehen Sie dort hinein!« Der Bischof unterbrach den von Furcht befeuerten Redefluss; er hatte keinem Wort davon zugehört.
Und damit wurde Jussef in die Sakristei gestoßen. Sein Herz stand in Flammen. Hier war die Gelegenheit, Ruhm und Größe wiederherzustellen; er war allein (nun ja, fast allein) mit dem Kirchenoberhaupt. Ein Moment, den er auskosten sollte.
»Pater Hassan, da sind Sie ja!«
Das Ego des Angesprochenen fiel ins Bodenlose. »Aber mein Name ist Jussef«, stammelte er. »Erinnern Sie sich nicht an mich?«
Der Patriarch überhörte die Widerrede. »Dieser Mann«, er zeigte auf Josua, »fliegt nach Rom.«
»Rom?« Jussef schnappte nach Luft. »Nach …
Rom?
« Der Patriarch hätte auch sagen können: »Zum Mars.«
»Ja, der Papst wünscht ihn zu treffen.«
»Der
Papst!
« Pater Jussef bekam den Mund gar nicht wieder zu.
»Ja. Und nun hören Sie endlich auf damit, zu wiederholen, was ich sage! Und Sie werden ihn begleiten.«
3
Denn einmal redete Gott und zweimal,
man achtet nicht darauf. Im Traum, im Nachtgesicht,
wenn tiefer Schlaf auf die Menschen fällt,
im Schlummer auf dem Lager …
Hiob, 33,14
D as Leben eines Papstes unterscheidet sich nicht allzu sehr von dem des Vorstandschefs eines globalen Unternehmens. Da waren die Besprechungen, die man leiten musste, Verpflichtungen, die abgearbeitet werden mussten, der Terminplan für die Reisen ins Ausland. Hinzu kam allwöchentlich eine Sitzung über etwaige Skandale – und über Wege, wie man am sinnvollsten auf diese reagieren oder sie vertuschen konnte. Vor allem aber war es wichtig, dass der Papst die Moral seiner Mitarbeiter stärkte – vor allem, wenn der wahre »Chef« seit zweitausend Jahren nicht mehr erschienen war und keinerlei Anstalten machte zurückzukommen.
Doch leider gab es ein Problem mit göttlichen Wesen: Ihr Verhalten war unvorhersehbar. Und wenn sie dann doch erschienen, fiel es jedes Mal schwer zu bestimmen, ob die Sichtung echt war. In den vergangenen zweihundert Jahren hatte es eine ganze Reihe mutmaßlicher Erscheinungen der Jungfrau Maria gegeben – auch wenn diese am Allgemeinen auf Europa begrenzt blieben. Waren sie
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