Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
hervorblickten. Keine Schönheit – es sei denn, man war Neandertaler. Was Josuas äußere Erscheinung rettete, war sein Lächeln. Es war herzlich, außerdem hatte er ein paar gute Zähne. »Gut«, soweit man das in Alexandria überhaupt sagen konnte, das mit tüchtigen Zahnärzten nicht besonders gesegnet war. Die Frau, die neben diesen beiden Kirchenmännern stand, war kleiner als Josua und zierlich. Sie trug einen grauen Mantel, der ihr bis zu den Fußgelenken reichte, und ein beigefarbenes Kopftuch. Ihr Gesicht war unscheinbar, aber sie hatte eine glatte Haut, rosa Wangen und hellgrüne Augen. Sie war Ende zwanzig. Josua stellte sie seinem Mentor vor.
»Miriam ist die Tochter von Safwat Al-Adli. Sie wissen doch, der Mann, der während der Messe immer in der ersten Reihe sitzt. Er hat ein Taxiunternehmen.«
Jussef sah das Mädchen und dann die Fußgänger an. Bestimmt gingen die Leute absichtlich die Straße hier entlang – die wollten sehen, wie zwei Kleriker eine junge Frau ansprachen.
»Es wird nach dir verlangt«, zischte er Josua zu. »Wir müssen jetzt gehen.«
Miriam versuchte, über diese offenkundige Unhöflichkeit nicht zu lachen. Sie wusste genau, wovor Jussef Angst hatte, doch ihre Absichten hatten nichts Finsteres. Josua gefiel ihr. Er war ein einfacher, aber guter Kerl. Sie hatte Interesse, ihn zu heiraten, soll heißen: falls er Interesse an ihr hatte. Dass Josua keine attraktive Erscheinung war, spielte keine Rolle, die Nachbarn aus der Gegend, in der er früher gewohnt hatte, wussten nur Positives über ihn zu berichten. Er würde wohl gut zu ihr sein und sich um sie und die gemeinsamen Kinder liebevoll kümmern. Das war ihr wichtiger als das Aussehen. Ihr Vater hatte oft mit Josua zusammengearbeitet, als dieser in seinem Unternehmen Taxi fuhr, und war ihm sehr zugetan.
»Auf Wiedersehen.«
»Tschüs, Miriam.«
Ungeduldig packte Jussef Josua an der Kutte und zog ihn mit sich. Kaum war Miriam in der Menschenmenge verschwunden, begann er mit seiner – ein wenig heiser vorgetragenen – Gardinenpredigt. »Josua, als Priester müssen wir den Anstand wahren. Und Anstand wahren heißt, dass man sich nicht in eine kompromittierende Situation begibt.«
»Kompromittierende Situation?«
»Du hast zu dicht neben der Frau gestanden. Du hast sie ja beinahe umarmt! Alle haben zugeschaut.«
Josua lachte. »Das bilden Sie sich doch nur ein.«
Jussef fand diese Widerworte empörend. Er hatte in siebenundsechzig Jahren natürlich noch nie eine Frau berührt, was seiner Phantasie jedoch keinen Abbruch getan hatte – vor allem, wenn er ins Gebet vertieft war. Ah, die zärtliche Liebkosung einer Frauenhand an seiner Wange … der Druck warmer Lippen auf seinem …
»Das habe ich mir
nicht
eingebildet! Halt dich fern von Frauen, Josua! Sie können dich von deiner Berufung fortlocken. In meinem Leben haben Frauen oft versucht …« Jussef hob übertrieben die Brauen, so als wollte er damit sagen, dass er täglich von weiblichen Gemeindemitgliedern angesprochen wird. »Wir müssen gehen.«
»Wohin?«
»Tu, was ich dir sage!« Der Priester ging ihm voran zur Kirche zurück, vorbei an klickenden japanischen Fotoapparaten in die Sakristei. Dort stand Pater Hassan, der vom Suchen noch ganz außer Atem war. »Josua.«
Die beiden Priester sahen einander vielsagend an. Die Befragung begann.
»Jemand möchte dich sprechen.«
»Wer?«
»Der Patriarch.«
»Warum?«
»Das versuchen wir ja gerade herauszufinden.« Jussef, der über eins achtzig groß war, blickte auf Josua hinunter. »Warum sollte der
Patriarch
«, er senkte die Stimme und nahm den gleichen ehrfürchtigen Ton an wie bei der Anrufung des Heiligen Geists, »gerade dich treffen wollen?«
Natürlich spürten die beiden Priester nicht die geringste Eifersucht, allerdings eine gewisse Enge in der Brust, als sie über die Frage nachdachten. Jussef war dem neuen Patriarchen vor zwei Jahren einmal nähergekommen, bei einer Versammlung von Klerikern, als dieser ihn freundlich begrüßte. Leider hatte der Patriarch ihn mit jemandem verwechselt und war, als er den Fehler bemerkte, eilig weitergegangen. Für Jussef glich das Erlebnis einem Aufstieg ins Paradies, gefolgt vom Zusammenbruch seines Egos, schlimmer als der Sturz Satans. So etwas wollte er nie wieder erleben. Mehr noch: Ihn schauderte bei der Erinnerung.
»Ich weiß nicht«, sagte Josua, »vielleicht hat es ja eine Verwechslung gegeben.«
»Das haben wir auch geglaubt«, erwiderte
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