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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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der Inschrift:

    Der Stein ist nach den Juden blieben
    Als sie von Nürnberg wurden vertrieben
    in Wolfgang Eysen Haus, das ist wahr
    im vierzehnhundertneunundneunzigsten Jahr.

    Allmählich wurden die Gassen mondhell. Herüber von den Wäldern der Veste wogten herbstliche Dünste. Die Blätter der Bäume, ein wenig regenfeucht, schimmerten silbern und zitterten im Abendwind.
    Fast alle Fenster in den Häusern waren erleuchtet. Die Juden schienen dreifaches Licht zu brennen, und die Christen hatten den unbestimmten Trieb, wachsam zu sein. Uralte Prophezeiungen waren auf dem Wege der Erfüllung, und die Schwülnis, die vom Morgenland herüberkam, war so drückend wie einst vor sechzehnhundert Jahren, als man Jesus Christus gekreuzigt hatte.
    Junge jüdische Mädchen liefen in den Gassen umher mit aufgelösten Haaren; manche hatten die Brust entblößt und ihre Augen glänzten wie von übermäßigem Weingenuß. Knaben saßen in Gruppen vor den Türen und sangen Psalmen und Hymnen an den Messias. In den Zimmern hatten sich die Greise versammelt und gaben sich mit tiefer Inbrunst dem Studium der Kabbala hin. Es erhob sich in einem Haus am Kohlenmarkt der neunzigjährige Chajim Chaim Rappaport und sprach: »Wäre er es nicht, der die Schmerzen von Israel über sich nähme, wahrlich kein Mensch wäre es zu erdulden imstande. Unsere Krankheiten wird er tragen und alle Übel und Schmerzen nimmt er ab von der Welt.« Dann verkündete er, Zabbatai Zewi habe den vierbuchstabigen Gottesnamen auszusprechen gewagt und der Türke Murad Effendi sei dadurch bekehrt worden.
    Im Hause des Ober-Rabbi waren fünfzig Männer und Frauen zu einem Mahl vereinigt. Je weiter der Abend vorschritt, je ungezügelter wurde der Freudenrausch, je heißer wurden die Köpfe vom Wein, vom Spiel, von Erregungen seltsamer Art. Viele warfen die silbernen Becher in die Luft und viele knieten hin und schrien mit heiserer Stimme Gebete. Der Rabbi selbst war es, der zuerst die Kleider von sich warf und dann der schönen Esther Fränkel das Gewand vom Leibe zerrte. Ihre Lippen küßten sich, wie zwei Ertrinkende hielten sie sich umschlungen und nahezu nackt schwangen sie sich in einem orgiastischen Tanz umher. Andere folgten bald dem Beispiel; überall erhoben sich bleiche Gesichter von der Tafel, glühende Augen starrten fassungslos in die kommende Welt der Erlösungen: wie wenn ein scheuer Sklave plötzlich die Freiheit empfängt und in wilder Zügellosigkeit sich selbst zerfleischt und seine eigene Habe zerstört. Männer, die schon an der Schwelle des Greisentums standen, gebärdeten sich wie Faune. Weiber mit grauen Haaren gaben sich beklagenswerter Verirrung hin. Die Thelsela Knöcker trank fast ohne auszusetzen schweren Burgunderwein, lallte mit kindischer Stimme hebräische Worte von der Messiasbraut, bis sie besinnungslos zu Boden sank. Es waren junge Mädchen da, die sich einer rasenden Liebesgier überließen, als wollten sie damit die Jahre der Entbehrungen in ihrem Gedächtnis verwischen. Manche sahen aus wie Furien, die lechzend von Lust zu Lust wankten und sich schamlos in finstern Lastern begruben. Geschrei, Ächzen und schrilles Johlen herrschte und eine scheußliche Musik wurde ausgeübt von fünf betrunkenen Spielleuten. Dazwischen erhob sich ein düsterer Gebetskanon, den drei oder vier Männer in einer dunklen Ecke hersagten, oder ein fanatischer Schrei um Erlösung, der von einem Haus in einer fernen Gasse erwidert wurde. Michel Chased, der Chassan, hatte die Gesetzrolle von der Schul geholt und tanzte damit umher wie mit einer Geliebten; er trieb eine lächerliche und furchtbare Unzucht, und als er keuchend, die andern gleichsam um Atem bettelnd, hinstürzte, bohrte er eine stählerne Nadel tief in den Oberarm, daß dunkelrotes Blut auf die Gesetzrolle und auf den Boden rann. Boruchs Klöß, Wolf Batsch und die Rumpeln knieten hin und leckten und schlürften winselnd das halbgeronnene Blut, indes der Chassan stumm und steif in die Arme seines Sohnes sank. Zwei junge Leute sahen den bleichen Zacharias Naar durch den Raum gehen, beschwörend die Hände heben und wieder verschwinden. Auch der alte Thurathara, dessen gerötete Augen stets wie aus einem dünnen Spalt hervorblinzten, hatte die Erscheinung wahrgenommen und behauptete, jener habe ein wunderschönes blasses Kind auf den Armen getragen und lächelnd und heiter habe das goldlockige Geschöpf in das schreckliche Treiben geschaut. Der alte Seligman Schrenz wollte die Blöße seiner

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