Die Juden von Zirndorf
und in jedem Laut ihres Mundes war etwas Bacchantisches. Die kleine Eva wußte sich nicht zu helfen vor Scham; in heller Verzweiflung schlang sie einen Arm um den Hals des Knaben, und mit der freien Hand bedeckte sie seine Augen.
Der sonderbare Brautzug kam in ein buntes Gewühle. Über den Gärtnerplatz ging eine Kinderprozession und jedes Kind trug einen Teller südländischer Früchte, oder Schalen mit Wein oder Backwerk. In diesen Tagen des Wahnsinns ging auch kein Christ im weiten Umkreis seinen Geschäften nach, und keiner, wie mächtig er auch sein mochte, versuchte den leidenschaftlichen Brand, der unter dem verachteten und verhaßen Judenvolk ausgebrochen war, zu dämpfen, oder gar zu verspotten. Fremde Musikanten kamen des Wegs, (es wußte niemand woher), und spielten auf Instrumenten, die man vorher niemals gehört. Alles war zauberisch, überirdisch, aufregend und bestürzend.
Unerhörtes begab sich auf dem Platz vor dem Pfarrhof. Dort nahm ein junges und schönes Mädchen die symbolische Handlung vor, deren Deutung war, daß auch die Tiere eingehen sollten in das messianische Reich. Die Zeremonie geschah mit einem mächtigen Hunde und das junge Mädchen sang dabei wilde Lieder und schrie verzückt. Die Zuschauer waren wohl entsetzt oder erschüttert oder verwundert, aber sie empfanden es gleichwohl als einen religiösen Vorgang von tiefer Feier. Mit bleichen Wangen standen sie umher und zitterten vor Grauen. In der Synagoge blies man das Schofar, und es klang wie ein einsamer Weckruf in alle Gassen, hinweg über alle Häuser, – wie ein Ruf aus den dunklen Tiefen der Kabbala. Eine Krone auf dem Haar, kam Zirle einher, mit einem Gefolge wie eine Fürstin. Wer sie sah, glaubte an sie wie an den Erlöser selbst. Ein junger Christ namens Wagenseil, der Sohn des Pfarrers, folgte ihr wie behext auf Tritt und Schritt. Schließlich sang er das Lob des Sabbatai fast in dichterischen Worten und Zirle erhörte ihn, noch ehe der Tag zur Neige ging. Ihr Wesen war ohne Schüchternheit; sie hatte etwas Glänzendes in jeder Gebärde. Die Männer verloren alle Vernunft, wenn sie vor ihnen stand, und die Glorie der Messiasbraut gab ihrem Wort ein unwiderstehliches Gepräge. Sie kam zu den Fastenden und Betenden und richtete sie auf. Denn manche wälzten sich tagelang wie Würmer auf der Erde, enthielten sich jeglicher Nahrung, oder sie hockten regungslos in den feuchten Winkeln unterirdischer Gewölbe, hatten Visionen, »strahlende Nächte«, wie sie sagten, fromme Gesichte, widerstanden so den Verlockungen des Satans und erfüllten zur Nachtzeit die Luft mit ihren Klageliedern. Ohne zu erlahmen studierten sie alle Bücher der Kabbala, alle Seiten des Talmud nach neuen und wunderbaren Deutungen; ihre Weiber, wenn sie nicht zu den Orgien gingen, ergaben sich einem grenzenlosen Fanatismus, stellten sich auf den Markt unter viele Leute, stachelten zu nutzlosen Grausamkeiten und nutzlosen Versündigungen auf und fluchten den Christen bitter. Die Kinder waren sich selbst überlassen, Säuglinge schrien umsonst nach der Mutterbrust und starben bald. Hunger und Überfluß, Prunk und Erbärmlichkeit reichten einander die Hände. Es fand kein regelmäßiger Gottesdienst mehr statt, und wenn man gemeinsam vor dem Altar betete, schrie, forderte, triumphierte, war es einer Schändung des alten Gottes gleich. Zigeuner zogen umher und vermehrten das Unheimliche und die Verwirrung. Der Papst und der Kaiser schickten wie in alle Städte auch hierher Beamte und Abgesandte, die unverrichteter Sache wieder ziehen mußten. Die freie Stadt Nürnberg entbot einen Hauptmann und fünfzig Reiter, aber den Hauptmann samt seinen Reitern sah man noch am selben Abend wüst johlend durch die Gassen taumeln. Am Fluß oben, gegen Buch zu, wohnte ein ehrwürdiger christlicher Mann von bedeutender Gelehrsamkeit. Er kannte gründlich die klassischen Sprachen und befaßte sich auch mit Astrologie und Alchymie. Die Leute behaupteten, er habe den Stein der Weisen gefunden und ihn für einen unermeßlichen Schatz an den Großtürken abgegeben. Er wurde befragt, was er von all dem Sturm und Aufruhr halte, und da sagte er: »Der Jüd ist ein tolles Tier. So ihr ihn aus dem Käfig laßt, frißt er euch auf mit Stumpf und Stiel. So er aber im Käfig bleibt, ist er zahm wie ein Hund. Viel Verstand hat der Jüd und er ist wie ein Blindschleich. So du ihn entzwei hackst, kriechen zweie hinweg.«
Niemals stand die Anarchie drohender über den Völkern, als zu
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