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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Gemeinde erklärten sich zum Aufbruch bereit; bei Anbruch des Tages sollte mit den Vorbereitungen begonnen werden. Plötzlich sprang Maier Knöcker, der Nathan, schreiend auf Zirle zu, packte sie bei den Haaren und riß sie zu Boden. Die andern Juden hätten ihn sicherlich in Stücke zerrissen, wenn nicht sein Weib, die Thelsela und die tugendsame Treinla, des Rabbi Man Ehewirtin, sich über ihn geworfen und flehentlich um sein Leben gebeten hätten.
    Gleich fernem Brandschein zeigte sich der erste Streifen des Morgenrots und hoch in der Luft zogen Vögel mit zirpenden Schreien dahin.
    Als Maier Knöcker nach Haus kam, fand er seine Tochter schlafend. Aber es bedurfte nur einer leisen Berührung und sie erwachte. Ihr Blick war scheu, verstört und furchtsam. »Gebenscht, ich hab se zugericht,« sagte der Nathan mit stumpfsinnigem Frohlocken. »Unbeschrien ich hab'r die Haare ausgerissen, der falschen Braut.« Er sah seine Tochter durchdringend an, schüttelte bekümmert den Kopf und fragte die Thelsela, wie lang es noch dauern könne bis zu Rahels Niederkunft. Geistesabwesend erwiderte das arme Weib, sie wisse das nicht; jedenfalls aber noch vier bis sechs Wochen. Gegen Mittag kam der Ober-Rabbi mit finsterem Gesicht und fünf Älteste begleiteten ihn. In harten Worten stellte er den Knöcker zur Rede und gab schließlich Zweifel darüber zu erkennen, daß Maier Nathan die himmlische Stimme gehört habe. Der Knöcker begann zu weinen. Sein leidenschaftlicher Protest und die schwermütige Bestätigung der Tatsache durch die Thelsela stimmten den Rabbi milder und Chajim Chaim Rappaport meinte in seiner wohlwollenden Art, man könne ja doch das Ende der Schwangerschaft abwarten; auch sei es nicht ausgeschlossen, daß dem Messias zwei Bräute bestimmt seien, obwohl Zacharias Naar ein Gegner solchen Glaubens sei.
    Wenn Maier Knöcker sich auf den Gassen blicken ließ, sah er sich mit Mißtrauen beobachtet, und seine ehemaligen Freunde gingen ihm aus dem Weg. Nur die ameisenhafte Geschäftigkeit, die überall herrschte, schützte ihn vor Schlimmerem. Doch hatte er nirgends Rast. Ein wühlender Schmerz über die ungeordneten Zustände bedrückte ihn. Er suchte nach der Reihe seine Schuldner auf und keifte überall und drohte mit dem Landrichter. Dann eilte er wieder schnellen Laufs nach Hause, in die Kammern, zu seinen Kostbarkeiten und Pfandpapieren. Da er sich von allen verachtet fand, nahm die Liebe zu den Schätzen zu, wie auch ein gewisses trotziges Vertrauen in die Mission seiner Tochter, und mit zorniger Ungeduld erwartete er die Ankunft der gottgeweihten Enkelin, überzeugt, daß es dabei an himmlischen und weit erkennbaren Zeichen nicht fehlen werde.
    Änsel Obadja und Hutzel Davidla standen am Abend des vierten November tuschelnd unter einem Haustor und gaben ihren Sorgen Ausdruck über die Vernachlässigung jeglichen Gottesdienstes. »Wenn es sich zuträgt, daß viele trinken werden,« sagte Hutzel Davidla zitternd und seine Mausaugen schauten glitzernd gegen Himmel, »dann hat unser Herrgott uns strafen gewollt.« Davidla gebrauchte das Wort ›trinken‹ und meinte damit den Tod, denn die Juden reden ungern vom Sterben, und schon im Talmud Ketuboth steht die Redensart vom Trinken. Ein gelehrter Chronist, der zu Fürth lebte, schreibt: Man frage nicht, warum sich dieses Volk allezeit so sehr für dem Tod entsetzet? Dies macht es: sie wissen nicht, wie sie dem künftigen Zorn entfliehen sollen. Das Sterben der Juden ist daher allezeit mit Furcht und Schrecken umgeben. Alle, alle müssen mit Entsetzen für den Dingen, die da kommen, aus der Welt scheiden.
    Das Laubhüttenfest war unbeachtet herangekommen und sah nun in den Taumel und Wirrwarr der kommenden großen Wanderung. Breite Lastwagen, die von Bauern draußen oder von Christen im Markt erkauft worden waren, rumpelten ununterbrochen vor die Häuser der Juden. Die streitenden Stimmen der Fuhrleute mengten sich mit dem Gekeife der Weiber; Pferde, Esel und Rinder wurden mit vielem Lärm erhandelt; die Gassen lagen voll von zerbrochenem Hausrat, leeren Kisten, Kleider- und Leinwandfetzen, Stroh, Pergamenten und Spänen. Wenn Christen vorbeikamen, hatten sie ein finsteres und drohendes Gesicht und sahen aus, als ob sie die Mittel überlegten, um diese Anstalten zu nichte zu machen.
    Auf einer Kiste saß sinnend der kleine Benjamin und pendelte mit den Beinchen hin und her. Ihm war unwohnlich. Durch die hohlen Fensterlöcher schaute er in das Haus des Maier

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