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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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dieser Zeit der Dämonie und der Ekstase. Da die Nachricht eintraf, die Juden von Frankfurt, Worms und Mainz rüsteten sich zum Aufbruch nach Zion, entstand eine Erregung, die mit einer langen, inbrünstigen Andacht zu vergleichen war. Alle Sehnsucht hatte nun ein Ziel bekommen, und jeder einzelne beschloß, dem Rufe des Propheten zu folgen.
    An demselben Tage, es war Allerseelen, lag Rahel auf ihrem Bette und starrte stumpf-gleichgültig durch das Fenster in den Abendhimmel. Das Haus war leer; die Schritte mochten darin nachhallen, denn die Dielen knisterten oft von selbst. Rahel hatte die Mutter schon seit zwei Tagen nicht gesehen, der Vater war seit dem Morgen fort. Niemand hatte sich in der letzten Zeit um sie gekümmert, und keine der jüdischen Frauen kam mehr, um stundenlang bei ihr zu sitzen. Aber darüber dachte sie nicht nach. Sie war froh, daß wieder die Nacht kam.
    Als es dunkel war, trat Maier Nathan ins Zimmer. Sein Wesen war verstört, und bisweilen brach er in kurzes meckerndes Lachen aus. Beim Schein eines Öllichts zählte er sein Geld nach und vergrub später einen Kasten mit Perlen und Schmucksachen im Hofe neben dem Brunnen. Erhitzt von der Arbeit, schnaufend und pustend kam er zurück und setzte sich neben seine Tochter, das Kinn auf den Griff des Spatens gestützt. Er seufzte, fuhr mit den Fingern in die Haare, schnitt Grimassen, sprang endlich auf, warf den Spaten heftig von sich, focht mit den Armen in der Luft umher und brach in ein glucksendes Weinen aus. Rahel rührte sich nicht. Sie war daran gewöhnt, seit Zirle erschienen war. »Schadai, Schadai voller Gnade!« rief der Knöcker aus. »Ich habe die himmlische Stimme gehört, ich hab sie doch sicherlich gehört mit meinen Ohren. Gott soll mich strafen, aber mein Rahelchen ist doch keine Hur!« Er kniete vor Rahel hin, streichelte mit der Hand ihre Haare und stammelte: »Mein Rahelchen, mein gutes Jeleth, mein Engelchen. Mise meschinne über die Narren, daß sie an die falsche Braut glauben. Sterben sollen sie den Tod durch Aussatz.« Und er erhob sich und rannte wie gepeitscht davon.
    Die Nacht war stürmisch. Die Winde kamen von Süden, und draußen in der Ebene gurgelte es wie in einem Strudel. Der Mond grinste fahl durch geborstene Wolken, und es war, als ob er selbst sie zerrissen hätte und sie aufgelöst vor sich her triebe. Gegen Mitternacht kam ein Herbstgewitter. Flatternde, schwere, lichtsaugende Nebel fielen nieder, und die Blitze fuhren hinein mit einem süßgelben Leuchten. Rahel sah zu, und ihr wurde bitter in der Kehle vor Grauen; in der Ferne heulten die Hunde.
    Rahel war müde. Was da draußen vorging in der Welt, sie kümmerte sich nicht darum. An nichts glaubte sie, mitten in einem Haufen von Wahnsinnigen blieb sie ruhig und nachdenklich. Doch hatte sie Furcht vor der Zukunft. Was soll aus dem Kind werden? dachte sie, und was aus mir, wenn sie alles erfahren? Gegen zwei Uhr, das Gewitter hatte sich verzogen, rief das Schofar die Juden in den Tempelhof. Zacharias Naar verlas einen Brief des Sabbatai an seine Braut Zirle, die er Zilla nannte. Es war ein feuriges und sinnlich überschwengliches Liebesgedicht, und es hieß zum Schluß, daß er sie samt ihrem Volk, den Lebenden und denen, welche von den Toten auferstehen würden, am siebzehnten Tag des Monats Tamuz zu Salonichi empfangen würde. Darauf stellte Zacharias Naar drei Fragen an die schweigende Gemeinde: Ob sie mit Gut und Blut sich dem Messias ergeben wollten? ob sie die Mühen und Beschwerden der langen Wanderung nicht scheuen wollten? ob sie ohne Murren und Weigern die Göttlichkeit der Messiasbraut anerkennen und ihren Befehlen folgen wollten? Ein bebendes Ja aus vielen hundert Kehlen antwortete. Nun trat Zirle in die Mitte des Kreises, hob ihre Arme verzückt zum Himmel, und ihr leidenschaftliches Gebet ließ die Zuhörer erglühen vor Sehnsucht und Begierde nach dem Neuen, Großen, Wundervollen, das für sie bereit war. Noch wußten sie nichts, was ihnen Sicherheit gab, aber mehr war es, zu glauben und dem Kommenden begeistert entgegen zu leben. Jauchzend wollten sie ein Land verlassen, das nur Verachtung und unmenschliche Grausamkeit für sie gehabt hatte. Es schien leicht, alles hinter sich zu werfen, wenn im Osten die Triften der ererbten Wohnsitze lockten, wenn ein königlicher Prophet sie zum unverbrüchlichen Bunde rief. Hier war kein Vaterland für sie und konnte es niemals werden, wie sich auch die Zeiten wandeln mochten.
    Die Ältesten der

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