Die Juden von Zirndorf
stieß daher ziemlich heftig an einen Baumstamm. Gleichzeitig ertönte ein entsetzlicher Schrei aus fünf oder sechs Kehlen, und ein junger Mensch von etwa siebzehn Jahren stürzte kopfüber ins Wasser. »Laßt das Judenpack ersaufen,« sagte Sürich Sperling, und die zwei Knechte und Herr Frühwald begannen zu lachen, während sie hastig davonruderten. Selbst der schwarzbärtige junge Mann lächelte, offenbar nur um seinen Reisegefährten gefällig zu sein. Dann warf er stirnrunzelnd den Rest einer Zigarre ins Wasser und sah mit angestrengten Blicken nach der Stelle des Unfalls zurück. Etwas Düsteres und Drohendes glomm in seinen Augen, als er die Anstalten beobachtete, unter welchen die jüdischen Männer den Verunglückten aus dem Wasser zu ziehen suchten.
Dort herrschte große Ratlosigkeit, der Kahn wurde vom anschwellenden Wind und von einer leichten Strömung fortgetragen, und die Köpfe waren so verwirrt, daß der eine Ruderer das Fahrzeug dahin und der andere dorthin lenkte. Keiner konnte schwimmen. Wasser war ihnen das unfehlbar totbringende Element; und als Elkan Geyer in heller Angst um seinen Sohn den Rock von sich warf, um in die Flut zu springen, hielten ihn sechs Arme zurück, wobei das Boot fast zum Kippen gekommen wäre. Plötzlich stieß Bärman Schrot einen Freudenschrei aus. Agathon tauchte empor, erfaßte den weit überhängenden Ast eines Birnbaumes, dann schnellte er aus dem Wasser und kletterte mit erstaunlicher Behendigkeit ins Gezweig des Baumes. Als er oben saß, streckte er seinen Kopf wie aus einem Korbgeflecht heraus und sah spöttisch ins Boot. »Komm, Agathon!« rief Elkan Geyer mit der schüchternen Zärtlichkeit eines Schuldbewußten.
»Mag nicht!« schallte es kurz zurück.
»Aber komm doch!« bat Elkan erschrocken. Er kannte den wunderlichen Starrsinn seines Sohnes.
»Ich will nicht. Ich will nicht mehr in euer Boot.«
»Aber Agathon, deine Kleider sind naß, du wirst totkrank werden.«
»Gut, so will ich totkrank werden.«
»Hopp, mein Junge, hopp!« rief Isidor Rosenau entschlossen und befehlend.
»Ich will euch etwas sagen,« rief Agathon ernst. »Ich werde warten, bis Sürich Sperling zurückkommt und wenn es Nacht wird, und wenn es morgen wird. Ich will ihm sagen, daß er ein Hund ist, ich will ihm sagen, daß er es büßen muß. Ihr laßt euch ja alles gefallen. Wenn sie euch die Ohren abreißen, küßt ihr ihnen noch die Hand. Zu Hause könnt ihr dann schimpfen.«
»Aber Agathon, komm doch,« flehte Elkan Geyer. »Du kannst doch nicht droben sitzen bleiben bis in die Nacht, Gott behüte.«
»Ich bleibe sitzen,« beharrte Agathon und seine Augen funkelten.
»So eine Verrücktheit!« rief Isidor Rosenau entrüstet. Er packte sein Ruder und stieß den Kahn vom Baum. Elkan Geyer schlug jammernd die Hände zusammen und bat die Ruderer umzukehren, aber diese lachten ihn aus.
Der Kahn flog rasch gegen das Dorf und Elkan Geyer wartete ungeduldig auf die Landung, um allein wieder zurückfahren zu können. Den Kopf in die Hand gestützt, sah er verträumt hinaus gegen den Horizont, wo ein trübes Rot die Wolken zu säumen begann und sich auch im Wasser spiegelte mit einem seltsam schwanken Schein. Es war überhaupt etwas Verträumtes in Elkans Wesen; in seinem Blick lag flehende Hilflosigkeit; sein frühergrautes Haar war Zeuge davon, daß er alles zu Herzen nahm, woran andere nicht lange tragen. Ja, wenn es andere fortwarfen, hob es Elkan Geyer erst auf, und er wußte seine Angelegenheit immer von einer Seite anzugreifen, von wo sie mißlingen mußte.
Agathon fror auf seinem Baum erbärmlich. Aber er verzog keine Miene, wenn ihn auch schauderte in den nassen Kleidern; er machte ein Gesicht, als gelte es, sich vor den eigenen Leiden zu verstecken. Friedlich gluckste das Wasser; bei langem Hinlauschen war es, als plauderte es immer in demselben müden Tonfall mit hellen, wiederkommenden Lauten.
In diesem Augenblick hatte er eine wunderliche Erscheinung. Aus dem Wasser hob sich ein Körper, die Arme breit in die Luft gestreckt, das Gesicht sehnsüchtig nach oben gerichtet. Lautlos wuchs die Gestalt herauf und ihre Muskeln schwollen wie unter einer gewaltigen Anstrengung. Daneben zeigte sich ein kleines Männchen, spitz, winzig, mit einem gefälligen Grinsen auf den Zügen, in beständigen Verbeugungen begriffen, und es reichte der großen Gestalt die Hand. Aber als diese die Hand nahm, sank sie tief und tiefer ins Wasser, wich angstvoll zurück, strauchelte und
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