Die Juden von Zirndorf
der Völker und ihrer Gerichte und ihrer Kriege und oft verrichtete er ungesehen kaiserliche Dinge, wenn die Monarchen schliefen und die Minister schwach waren. Sabbatai wurde ein Moslem, und manche sagen zum Schein. Der Jude wurde ein Kulturmensch und manche sagen zum Schein. Manche sagen, der Verderber und der Verführer sitze in ihm und er verstünde die Bühne dieser Welt besser als ihre Erbauer. Dies ist sicher: ein Schauspieler oder ein wahrer Mensch; der Schönheit fähig und doch häßlich; lüstern und asketisch, ein Charlatan oder ein Würfelspieler, ein Fanatiker oder ein feiger Sklave, alles das ist der Jude. Hat ihn die Zeit dazu gemacht, die Geschichte, der Schmerz oder der Erfolg? Gott allein weiß es. Vor den Blicken tut sich ein unermeßliches Bild auf, denn das Wesen eines Volkes ist wie das Wesen einer einzelnen Person: sein Charakter ist sein Schicksal.
Erstes Kapitel
Im Jahre achtzehnhundertfünfundachtzig fing es in den Ebenen der Rednitz und Pegnitz einige Tage nach Maria Himmelfahrt an zu regnen, und es regnete fast unaufhörlich bis Mitte August. Die Saaten gingen zugrunde und alles Land war ein einziger See. Bis ins Tal der Zenn hinein erstreckte sich die Überflutung und nach Norden in die Erlanger und Bayersdorfer Gegend. Graugelb und gurgelnd schlug das Wasser gegen die Eisenbahndämme; die Fußstege waren weggerissen, die Hütten am Ufer zerstört; tagelang sah man Bretter und Balken und Fetzen von Schindeldächern mit der Strömung hinuntertreiben. In der Fischergasse und am Schießanger in Fürth beleckte das Wasser die Häuser, füllte die Keller und schlug drohend an die Schwelle kleiner Krämereien oder an die Wohnungen der Goldschläger, deren Gehämmer sonst mit anziehender Taktmäßigkeit das ganze Viertel erfüllte.
Wie eine geheimnisvolle Berginsel sah der Vestnerwald mit seinem viereckigen Turm in das überschwemmte Land. Wenn man von dort aus gegen Zirndorf hinunterblickte, ragten nur ein paar Pappeln oder die Bäume einer Obstanpflanzung oder quer durcheinander geschichtete Hopfenstangen oder der Pfahl, worauf bei Schützenfesten der bemalte Adler befestigt wird, aus dem Wasser hervor, das gelbschimmernd dalag, ohne sonderliche Bewegung wie ein matter Spiegel. Das Dorf selbst war zum größten Teil verschont geblieben, weil es etwas höher lag. Kein Rauch stieg aus den Schloten der Ziegelei am Eingang der Hauptstraße. Die roten Dächer sahen ergeben in das helle Grau des Himmels, und die Krähen, die mit unruhigerem Flügelschlag als sonst auf-und abflogen, stießen schmerzlich-gellende Schreie aus.
Den Wirten im Dorf ging es schlecht bei diesen feuchten Zeiten, besonders Sürich Sperling, dem Sebalderwirt und Herrn Ambrunn, der die »gläserne Burg« besaß. Das Turnerfest war auf den nächsten Sommer verschoben worden und die Fürther Kirchweih stand vor der Tür, wo ohnehin wieder alles Geld in die Stadt wandern würde. Als der Burgwirt keinen andern Ausweg sah, schickte er bei den Juden herum und ließ sagen, daß er koscheres Fleisch zum Aushacken bringen werde. Der Bauer litt gleichfalls schwer unter der Wassersflut und mancher, dem bislang eine selige Talerfülle im Beutel geklappert, schlich nunmehr gebückt und finster ins Wirtshaus, um seinen Groll zu vergessen.
Zwischen Altenberg und Zirndorf wurde der Verkehr durch Boote vermittelt, und an einem Donnerstag fuhren zwei Kähne ungefähr gleichzeitig, der eine von Zirndorf, der andere von Altenberg ab und befanden sich einander in Sehweite, noch ehe jeder hundert Meter zurückgelegt hatte. Der Wind strich übers Wasser und warf lautlose Wellen auf. In kleinen Entfernungen erhoben sich die Chausseebäume aus der Flut, und das dünne Zweigwerk hing trauernd nieder und wurde vom Wasser bespült. Die Bäume zeichneten den Weg vor und die Boote näherten sich einander rasch; das von Zirndorf kommende, in dem Sürich Sperling, seine zwei Knechte, der Milchmeier von Altenberg, der Metzger Frühwald von Fürth und ein fremd aussehender junger Mann saßen, glitt schneller dahin als das andere. Sie waren sich auf zehn Schritte nahe gekommen, und Sürich Sperling schrie eine Warnung hinüber; doch es lag etwas Gehässiges in seiner Stimme, und es hatte den Anschein, als suchte er das kleinere Boot zu kentern. Die Bedrohten wichen furchtsam aus, aber Sürich Sperling, der das aus einer alten Kohlenschaufel verfertigte Steuer handhabte, richtete die Spitze des Kahns gegen die Breitseite des andern Fahrzeugs, und dieses
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