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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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sagte Bojesen mit stockender Stimme.
    Das Gesicht des Bankiers veränderte sich im Nu. Er richtete sich straff empor, schob seine Hand in die Rockbrust und sein Gesicht wurde steinern, als er antwortete: »Meine Tochter hat mit der Firma Löwengard nichts zu tun. Wenn dies also der Zweck Ihrer Anwesenheit ist, muß ich bedauern. Wenn meine Tochter in Not ist, hat die Firma keinen Grund, diesem Umstand Aufmerksamkeit zu schenken.«
    »Ihre Tochter ist nicht in Not,« entgegnete Bojesen stirnrunzelnd. »Ich wollte nur fragen, ob Sie nicht Auskunft über ihren gegenwärtigen Aufenthalt wünschen oder ob Sie sie vielleicht zurückrufen wollen. In diesem Fall wäre ich bereit –«
    »Verehrter Herr, ich sagte Ihnen schon, daß meine Tochter mit den Angelegenheiten der Firma nichts zu schaffen hat. Sie ist tot für das Haus Löwengard. Ich sehe deshalb keinen Anlaß, dies Gespräch fortzusetzen.«
    Das war ein deutlicher Wink; aber Bojesen blieb ruhig sitzen und folgte mit finsterem Blick dem Auf-und Abgehen des Bankiers, der die Hände auf dem Rücken hielt und mit den Fingern ein Geräusch machte, wie wenn man den Pfropfen aus einer Flasche reißt. »Vatergefühle und dergleichen kennen Sie wohl nicht?« sagte er, empfand jedoch zugleich das Selbstsüchtige seiner Bitterkeit und errötete flüchtig.
    »Vatergefühle setzen Tochtergefühle voraus,« erwiderte der Bankier kalt.
    »Und Sohnesgefühle!« fügte Bojesen verächtlich hinzu, indem er an Gedaljas Schicksal dachte.
    »Herr!« rief der Bankier, feig werdend. Seine tückischen Augen blickten unsicher nach der Türe.
    Als Bojesen ging, war die Sonne im Sinken und ergoß Ströme purpurroten Lichts auf die tauenden Schneeflächen. Der Himmel, einem Teppich gleich, war mit seltsam regulären Wolkenmustern besät, und in der Tiefe des westlichen Horizonts stand ein Rest der Sonne als glühendes Segment und war bald verschwunden, eine gleichmäßig-brennende Röte hinter sich lassend. Bojesen schritt vorbei an den Schreibzimmern der Firma Löwengard, wo seit einigen Tagen wieder gearbeitet wurde, und sah durch die mit grünen Gittern versehenen Fenster. Pult an Pult; Kommis neben Kommis: bleiche, langnasige Menschen mit trüben Augen, mit Augengläsern, mit beschäftigten, sorgenvollen Mienen, freudlose Rechenmaschinen. Staub!
    Die Landschaft breitete sich flach und trostlos aus, nicht anziehender geworden durch die blendenden Abendgluten. Eisenbahnremisen, ein abgebrochener Zaun, durcheinanderlaufende Schienen, rötlich schimmernd im Widerschein des westlichen Feuers, einzelne Güterwagen, eine Lokomotive, stumm und kalt, ein Lastwagen, Bahnwärter- und Signalhäuschen, Telegraphenstangen, Güterhallen und weit drüben ein schüchternes Etwas von Wald, mit letztem Schnee behangen, und das erste oder vielleicht vorjährige blasse Grün einer Wiese. Und all das weckte in Bojesen auf wunderbare Art Erinnerungen an die Kindheit, ließ Bilder der Heimat in ihm wachsen, und er hatte Heimweh.
    Gleichwohl sehnte er sich nach Gesellschaft, und da er nicht weit von Nieberdings Villa entfernt war, wandte er sich dorthin. Er schritt an den feuchten Hängen hin, zwischen Gesträuchern; zur Rechten war die Mauer des Kirchhofs, tief unten schimmerte das Wasser des Flusses und drüben lag das ebene Tal, das vom Horizont verschlungen wurde.
    Er fand das Tor der Villa offen, schritt die Treppe hinauf und pochte, da er niemand sah, an die nächste Tür und als niemand antwortete, ging er hinein. Das Zimmer war leer: er ging weiter, öffnete eine zweite Tür und stand betroffen still.
    An einem Sessel kniete, ganz zusammengeschrumpft und gekauert, Cornely Nieberding und richtete sich erst auf, als sich Bojesen verlegen räusperte. Sie warf mit einem energischen Schütteln das Haar zurück und rief angstvoll: »Was ist? Ist er tot?«
    Als Bojesen sie erschreckt anstarrte, trat sie auf ihn zu, bot ihm schüchtern die Hand und flehte: »Helfen Sie mir! Seit zwei Tagen ist Eduard nicht nach Hause gekommen, hat keine Nachricht hinterlassen, keine Zeile geschrieben. Ich habe meine Leute auf die Polizei und zu allen Bekannten geschickt, helfen Sie mir!«
    Bojesen sah gespannt in ihr blasses Gesicht, das unaufhörlichen Zuckungen unterworfen war und durch Schlaflosigkeit und Sorgen gealtert erschien. Als sie sich so schweigend betrachtet sah, ließ sie den Kopf sinken und ihre Ohren wurden glühend rot, während Stirn und Wangen bleich blieben.
    Bojesen suchte nach Worten.
    »Er ist ja mein

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