Die Juden von Zirndorf
zurück, weil es mich reizt, euch dort ein wenig toll zu machen. Ich habe erst hier von einem König gehört, der bei euch leben soll, – ein Heliogabal, jammervoll mißkannt, ein Sohn der Sonne. Und nun leb wohl, Erich, löse dich aus dem Niedrigen, das dich umfängt und denke ohne Groll an deine Jeanette.«
Bojesen warf den Brief in eine Ecke, hob ihn jedoch wieder auf, legte ihn mit feierlichen Gebärden zusammen und zerriß ihn dann in lauter kleine Stückchen. In diesem Augenblick kam ihm alles, was er trieb, so erbärmlich vor, und alles, was er wußte, so oberflächlich, daß er in einer schmerzlichen Apathie die Augen schloß. Dann nahm er eine Feder zur Hand und schrieb auf das nächste Stück Papier: Wissenschaft.
Es war ein Mann, ich weiß nicht, wie er hieß,
Den das Geschick im tiefen Schoß der Erde
Vor langer Zeit zum Leben kommen ließ,
Und Finsternis war Mutter, die ihn nährte.
Doch er vermochte nicht zu reimen; auch fühlte er, daß sein Gedanke dabei die Klarheit verlor. Deshalb fuhr er in Prosa fort: Schweigen erfüllte sein Leben und nichts störte die Ruhe um ihn her, als ein beständiges dumpfes Summen und Dröhnen über ihm. Der Unterirdische setzte jedoch alle Geisteskräfte daran, den Grund des ewigen, drohenden, geheimnisvollen Dröhnens zu erforschen. Er glaubte nicht an ein Wunder; er teilte auch den Glauben von dem göttlichen Ursprung des Dröhnens nicht, wie er in überlieferten Dokumenten las, sondern forschte, erfand Meßapparate und andere Instrumente, stellte Gesetze und Regeln auf, berechnete die Stärke des Dröhnens und die Zeit, die verging, bis der Schall an sein Ohr kam und viele andere Dinge mehr, die ihn zu gigantischen Spekulationen führten. Und nach langer, langer Zeit begann er zu graben, emporzugraben, und je mehr er grub, je vernehmlicher wurde das Dröhnen, bis endlich die letzte Schicht Erde fiel und der Sohn der Finsternis geblendet in die Höhe starrte, – ins Licht! Da kehrte er zurück in seinen unterirdischen Wohnsitz und war beglückt, als er sah, daß das Licht die Ursache des Dröhnens war. Doch wie andere Dinge hatte er sehen können, wenn er noch hundert Meter höher gekrochen wäre! Wie hatte das Surren und Brausen von tausend irdischen Dampfmaschinen sein einsamkeitgewöhntes Ohr betäubt! Wie wäre er entsetzt gewesen von dem endlosen Krieg, der über ihm tobte, von den Schicksalen, die in das Stampfen der Motore verwoben waren! Dabei hatte er vielleicht nicht einmal das wirkliche Licht erblickt, sondern nur das künstliche einer Maschinenhalle.
Enttäuscht und gelangweilt legte Bojesen das beschriebene Blatt Papier in eine Schublade. Jetzt erst empfand er den nagenden Schmerz, den ihm jener Brief zugefügt hatte. Jeanettens Bild stieg heraus. Nun wußte er auch sein ruheloses Forschen zu deuten, und er blickte im Zimmer umher, als ob er sich vor den Möbeln schäme, daß er sie je getäuscht und hintergangen durch sein nächtliches Wachen. Er sah Jeanette unbeweglich stehen, wohin er auch blicken mochte, er sah sie in einem dunkelgrünen Kleid, das rote Haar gelöst, in den Augen eine schwermütige Ruhe, die er in Wirklichkeit nie bei ihr bemerkt. Er ging im Zimmer umher und dachte an nichts anderes, als wie er sie wieder gewinnen könne, und der törichteste Ausweg erschien ihm schließlich als der beste. Er schickte sich an, zu Baron Löwengard zu gehen. Sein wahnsinniges Verlangen redete ihm ein, daß Jeanettes Vater vielleicht Macht über sie besaß, oder daß es mit dessen Hilfe gelingen könne, Jeanette durch eine List zur Rückkehr zu bewegen. Er wußte kaum, was er tat.
Eine Viertelstunde später trat er ins Löwengardsche Haus. Noch immer trugen die Karyatiden geduldig die Last des Balkons, noch immer besann sich Merkur auf dem Dache, ob er stiegen solle oder nicht. Außerdem tropfte das Schneewasser von den Rinnen und Brüstungen, so daß die Riesen zu schwitzen schienen, und eine ahnungsvolle Sonne vergoldete die Fassade. Auch im Innern des Hauses hatte sich nichts verändert. Die alte Pracht bestand noch; nicht, als ob der Besitzer dieser Reichtümer kürzlich zu Fall gekommen wäre und Hunderte in Not gerissen hätte, sondern als ob irgend ein hochgeborener Gast die Ursache der vornehmen Stille sei.
Bojesen wurde angemeldet und vorgelassen. Mit zusammengepreßten Lippen stand er vor dem Kaufmann, der ihn einige Zeit unbekümmert musterte, ehe er sich entschloß, ihm einen Sitz anzubieten.
»Ich komme wegen Ihrer Tochter,«
Weitere Kostenlose Bücher