Die Juden von Zirndorf
vermochte anfangs nicht zu reden; doch bald bemerkten sie seine Absicht und schwiegen bereitwillig still. Er sagte ihnen, was er sagen wollte: ernst, verständlich und verständig, und sie schienen beschämt. In ihren Blicken war das offene Versprechen des Gehorsams zu lesen.
In diesem Augenblick wurde die Türe aufgerissen und der Rektor trat ein. Bei dem Anblick, der sich ihm bot, ging eine förmliche Versteinerung mit ihm vor. Er lallte, und seine Brille fiel von der Stirn auf die Nase. Er ließ einen eisigen Blick auf Bojesen fallen und einen finsterdrohenden auf die Schüler, die trotzig stehen blieben. Bojesen wollte nichts zu einer theatralischen Auseinandersetzung beitragen. Er fühlte sich zu froh und zu bewegt. Er entfernte sich mit einer sarkastischen Verbeugung gegen den Rektor.
Stunden vergingen für Bojesen in einer Reihe lustiger und beglückender Visionen: von einer neuen Zeit; von dem Wachsen verborgener Keime, von denen die Welt ein paradieshaftes Blühen erwarten konnte. Doch als der Abend kam, wurde es wieder dunkel in ihm. Er ging über den Kohlmarkt nach der Wohnung, die Jeanette innegehabt und die noch leer stand. Die alte Dame, die hier wohnte, ließ Bojesen ungehindert eintreten. Durch ihr Lächeln leuchtete ein menschliches Verstehen, als sie ihn allein ließ in Jeanettens Zimmer.
So blieb er, warf sich auf einen Sessel und ließ den gefürchteten Schatten kommen. Er dachte, daß er sie küssen könne, doch sie ging hastig, ohne zu sehen oder zu hören, an ihm vorbei. Dann kamen andere, – geschwätzige Gestalten. Alle hatten etwas zu erzählen, wobei sie auf den Zehen leicht dahinhuschten, sich ein Tuch umnahmen, es wieder liegen ließen und sie sahen aus, als hätten sie dreißig Tage lang unter der Erde gelegen.
Es war sehr spät, als er ging. Die Gassen waren leer und still. Er wußte nicht, wie er heim gelangte. In seiner Wohnung war alles finster. Lange stand er auf dem Korridor in quälerischem Besinnen, dann begab er sich vorsichtig und leise in das Zimmer, wo Fanny seit Wochen allein schlief, zündete eine Kerze an und setzte sich auf den Rand ihres Bettes. Er sah sie friedlich schlummern und nahm ihre rundliche Hand. Die Kerze warf tiefe Schatten auf eine Seite ihres Gesichts. Plötzlich erwachte sie. Sie fuhr jäh empor und schrie auf, streckte die Hände aus und schlug sie dann vor das Gesicht. Bojesen hielt den Blick auf die Dielen geheftet und atmete tief auf.
Vierzehntes Kapitel
Im kleinen Schustergäßchen in Nürnberg, welches vom großen Schustergäßchen aus zur Burg führt, stand ein altes, düsteres Haus. Selten wurde zur Tageszeit das Tor von schwerem Eichenholz geöffnet, selten waren die vor Staub und Bejahrtheit blinden Fenster abends erleuchtet.
Das Haus war von Baldewin Estrich bewohnt, und zwar nicht in allen seinen Räumen, sondern Herr Estrich hauste vornehmlich in einer großen, mit Steinen gepflasterten Küche, die ein Fenster nach dem einsamen Hof hatte mit seinen Holzgalerien und wunderlichen Säulen und Schnitzwerken. Hier verbrachte Baldewin Estrich seine Tage und einen großen Teil der Nächte, um zu experimentieren, zu analysieren, in Retorten dickliche Flüssigkeiten zu kochen, auf seltsamfarbenen Flammen noch seltsamere Körper bis zur Weißglut zu erhitzen, und was er auf diese Art suchte und erfinden wollte, war nichts mehr und nichts weniger als die Kunst des »Goldmachens«.
Doch nicht aus gemeiner Habsucht oder nur aus dem Drang, reich zu sein, frönte Baldewin Estrich dieser Leidenschaft. Auch war er weit davon entfernt, der Wissenschaft einen Dienst leisten zu wollen. Ja, er war sogar davon überzeugt, daß sein Weg von dem der Wissenschaft weitab lag, und daß er selbst ein Gespött der Fachgelehrten bilden müsse, als ein Mensch aus vergangenen Jahrhunderten, wo Wunder und Traktätchen, Zauberei und Hexenkunst die Brücke zwischen Sehnsucht und Besitz schlagen sollten. Auch war er nicht betört durch jene uralten Bücher der schwarzen Kunst, jene dunklen und verschwommenen Nachrichten über rätselhafte Magier und über den verlorenen Schlüssel zu dem großen Geheimnis. Er war mit der Wissenschaft der Zeit gegangen, eifrig und unermüdet, hatte in ihre verstecktesten Winkel geschaut, ihre zahllosen Dokumente durchstöbert, war an ihr verzweifelt und in dieser Verzweiflung zusammengebrochen wie ein Kind. Denn was sie ihm bot, war nicht das, was er darin suchte: ein Mittel, die Menschheit glücklicher zu machen. Dann begann er aus
Weitere Kostenlose Bücher