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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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erboten, waren seine Dienste bald überflüssig. Erst in der Nacht, die nun folgte, kamen die Gedanken. Er empfand eine eherne Zusammengehörigkeit mit seinem Volk, und doch haßte er dies Volk, – jetzt mehr als je. Er haßte die Frommen und haßte die, die sich des religiösen Gewands entäußert hatten und wie Trümmer eines großen Baues verloren auf dem Ozean des Lebens trieben, verachtet oder mächtig, doch auf jeden Fall Schmarotzer aus einem fremden Stamm. Inmitten fremden Lebens ein fremdes Volk, voll gezwungener Fröhlichkeit, in einem unsichtbaren Ghetto. Der alte Herrlichkeitsgedanke ist verrauscht und mit den Spuren zweitausendjährigen Elends am Leibe spielen sie die Herren und bedecken ihre Wunden, ihre Unzulänglichkeit, die Schmach der Unterdrückung mit einem Mantel von Gold. Und er haßte auch die andern, diese ungroßmütigen Gastgeber mit ihrem Munde voll Lügen und Phrasen und falschen Versicherungen, mit ihren trügerischen Gesetzen und scheinheiligen Göttern. Und er haßte die Zeit, die sinnlos hinrollende, atemlose Zeit, die Hoffnung gibt, um sie nur mit dem Tode einzulösen und die Glieder mit Krankheit schlägt, wenn der Geist den Körper überwinden will.
    Gleichwohl erfüllte ihn die ungeheuerste Sehnsucht nach dem Leben irgendwo da draußen und er beschloß, auszugehen wie einst David, der sich ein Königreich gewann. Halb im Traum gewann sein Vorsatz Kraft und Unumstößlichkeit.
    Am andern Vormittag packte er ein schmales Bündel und reichte seiner Mutter die Hand zum Abschied. Frau Jette war so erschrocken, daß sie sich nicht fassen konnte. Sie konnte den Entschluß des Sohnes nicht mißbilligen, nur fragte sie, weshalb er gerade jetzt fort wolle, da der Vater auf den Tod krank sei.
    Agathon schüttelte den Kopf. Zwischen ihm und seinem Vater durfte kein Band mehr sein. Gewaltsam und unerbittlich drängte es ihn fort, und er ließ sich durch nichts bestimmen, zu sagen, wohin er sich wenden würde. Er nahm auch die paar Groschen, die ihm die Mutter bot, nicht an, sondern versicherte lächelnd, daß er kein Geld brauche. Er steckte ein Dutzend Äpfel in das Bündel, Käse und Brot, küßte die Mutter und die Geschwister und ging in den kalten Wintertag hinein.

Dreizehntes Kapitel

    An Bojesen konnte man jenen leise fortschreitenden Verfall gewahren, der sich in einer mehr und mehr glänzenden Rocknaht offenbart; in jener Vernachlässigung des Äußeren, die sich bis zum Trotz steigert; in der Verringerung des Trinkgeldes für Kellner und Oberkellner: in der beflisseneren Art, vornehme, wenn auch sonst gehaßte Personen zu grüßen; in der erkünstelten Ruhe, womit man in den Läden nach dem Preis der Waren fragt, – kurz, in all jenen Dingen, die so tief gehen, wie sie unbedeutend scheinen und mehr verwunden, als das offene Geständnis der Not. Die Behaglichkeit gesicherter Zustände ist dann das einzig Wünschens- und Ersehnenswerte, und wenn es zu Hause kalt ist, träumt man von einem offenen Kaminfeuer mit fallenden Glutkohlen, so wie man sonst die Gedanken in alle Tiefen der Metaphysik sandte.
    Er war verlassen, und er überredete sich, daß er in seiner Verlassenheit glücklich sei. Eine befremdliche Ruhelosigkeit war über ihn gekommen, die ihn von Rast zu Rast und von Arbeit zu Arbeit trieb; aber die Rast war ohne Frieden und die Arbeit ohne Frucht. Die Häuser, die eingefrorenen Parkanlagen vor seinem Haus, die vorbeisausenden Züge der Eisenbahn, Menschen, Hunde und Steine, alles hatte sich verändert, hatte in seinen Augen etwas Flüssiges erhalten und schien durch die unlösbare Kette der Teilnahmlosigkeit, die alles und alle umfangen hielt, verächtlich. Ost wenn der Sturm bei Nacht um die Mauern fuhr, daß es schien, als koche die Atmosphäre, kam sich Bojesen als ein unermeßlich einsames Wesen vor im weiten Universum, das sich im Zustand des Wartens befand auf irgend einen magischen Befehl jener Dame, die die Lebensfäden so kühn und unberechenbar ineinanderstickt. Wie leer erfand sich schließlich die Wissenschaft vor seinem Nachdenken. Selbst die Lampe auf seinem Tisch, die Stühle, die Bücher im Regal, – sie hatten etwas Wesenloses für ihn.
    Um Geld zu verdienen, suchte er Stunden zu geben. Es gelang ihm, die zwei Söhne des Witwers Samuel Binsheim zum Privatunterricht zu bekommen. Dieser Herr Binsheim setzte einen eigenen Ehrgeiz darein, mit Bojesen gelehrte Gespräche zu führen. Er übersiel ihn also oft auf der Straße und versicherte ihm stets von neuem,

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