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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Stiefbruder,« sagte Cornely mit einer krankhaften Versunkenheit und lächelte so schuldbewußt, daß es Bojesen wie ein Stich traf.
    »Er wird zurückkehren, Fräulein,« tröstete er mit gesellschaftlicher Liebenswürdigkeit. »Vielleicht beschäftigt ihn ein kleines Abenteuer.« Doch sogleich empfand er das Ungehörige seiner Worte, denn Cornely schaute ihn erschreckt und fremd an. Um den Fehler wieder gut zu machen und da ihr Schmerz etwas so Wühlendes und Gepreßtes hatte, daß er fast ungeduldig wurde, ihr beizustehen, fragte er, wodurch er ihr helfen könne.
    Sie dankte ihm durch einen Händedruck und teilte ihm mit (zögernd, als ob sie durch das Versprechen des Schweigens gebunden sei), daß Nieberding seit einigen Wochen mit einem gewissen Baldewin Estrich in Nürnberg viel verkehre; es sei ihr nicht bekannt, wo der Mann wohne, aber sie träfen sich stets in dem Kaffeehaus an der Frauenkirche. Wenn Bojesen sich ihr freundlich erweisen wolle, möge er nach Nürnberg fahren und dort Erkundigungen einziehen.
    Ohne viel Worte zu machen, entfernte sich Bojesen, war eine halbe Stunde darauf in Nürnberg und fragte in dem angegebenen Kaffeehaus nach Nieberding, – umsonst. Darauf nannte er den Namen Baldewin Estrich, den er von Cornely vernommen, und dieser Name war den Leuten bekannt; es wurde Umschau gehalten und man schien erstaunt, den Herrn gerade heute zu vermissen, der seit Jahr und Tag um diese Stunde hier zu finden war.
    Als Bojesen durch die winklig-schiefen Gassen wieder zum Bahnhof eilte, – denn die Wohnung jenes Estrich hatte er nicht zu erfragen vermocht, – stutzte er plötzlich beim Anblick einer rasch vorübereilenden Frau, blieb dann wie angewurzelt stehen und lehnte sich an einen Laternenpfahl. Er hatte Jeanettes Züge zu erkennen geglaubt. Er war sich der Täuschung bewußt und doch zitterte er an Armen und Beinen.
    Spät am Abend kam er wieder in Nieberdings Haus und erfuhr von Cornely, daß ihr Bruder gekommen sei. Sie dankte ihm mit scheuer Herzlichkeit, führte ihn aber nicht ins Zimmer und sagte, Eduard sei krank und unbegreiflich erregt.
    Wieder schloß sich Bojesen tagelang mit seinen Büchern ein, brütete, grübelte, träumte; draußen herrschten Frühjahrsstürme. Es pfiff und jauchzte und heulte und wühlte um die Mauern wie bei einem Wrack, das hilflos auf Felsenboden sitzt. Es sang und brummte und brodelte in den Lüften, und der ganze Himmel mit Wolken glich einer hurtig fahrenden Maschinerie, indes der Mond in der Nacht schreckhaft und fahl von Wolkenloch zu Wolkenloch stürzte.
    An einem solchen Abend ging Bojesen aus. Er fühlte sich erschüttert im Sturm und sein Herz wurde weit. Er sah Blitze leuchten im Osten und hörte den entfernten Donner eines Februargewitters. Als er in die Gegend des Marktes kam, hörte er eine Stimme hinter sich, die den Wind laut übertönte. Er glaubte diese Stimme zu kennen, verzögerte seinen Schritt und lauschte.
    »No sag' selber, hab' ich geschlafen sitter ach Täg? Haste geschlossen gesehn meine Augen? Bin ich gewesen in schlechter Gesellschaft, daß se mer gemacht hat e schlechtes Gewissen? Haste schon emol son Sturmwind derlebt? Hu – uch! wirbel wirbel bl bll bll –!«
    Bojesen war so entsetzt, daß er keinen Schritt mehr machen konnte.
    »Holla! aach e Mann, den ich kenn!« rief Gedalja und lachte unbändig. »Komm mit, Mann, komm mitle! Ich, – ich kenn die Welt, ich kenn' se in- un auswendig kenn' ich se, oben un unten kenn' ich se, hinten un vorn kenn' ich se.«
    Bojesen wich zurück und packte die Frau, die den Greis begleitete, fest beim Arm. Es war Frau Hellmut. »Ist er betrunken?« flüsterte er ihr zu.
    Sie schüttelte den Kopf. »Mein Sema hat ihn gebracht, so wie er ist.«
    »Und warum führen Sie ihn denn herum?«
    »Er ist uns fortgerannt. He, halt! halt!« Und sie rannte dem alten Mann, in die Hände schlagend, nach, während er in der Mitte der Straße umhertanzte. Der Mond beschien ihn kalt und unheimlich. Bojesen empfand einen kühlen Schauder.
    Auf einmal wurde der Greis still und ließ sich führen wie ein Kind. Bojesen ging an Frau Hellmuts Seite, die sich in seiner Gesellschaft unbehaglich fühlte und ihm zweifelnde Seitenblicke zuwarf.
    »Ich kenne ihn,« sagte Bojesen. »Es erschreckt mich sehr, das alles.«
    »Wer sind Sie denn?«
    »Bojesen.«
    »So? Der Lehrer?«
    »Gewesen, ja.«
    Als sie vor Frau Hellmuts Wohnung angelangt waren, ging Bojesen mit hinauf. Nach kurzer Weile kam auch Sema. Gedalja hockte

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