Die Judenbuche
drei Tagen am Nachmittag ausgegangen, um Vieh zu kaufen, und
hatte dabei gesagt, er werde wohl über Nacht ausbleiben, da noch einige böse Schuldner in B.
und S. zu mahnen seien. In diesem Falle werde er in B. beim Schlächter Salomon übernach-
ten. Als er am folgenden Tage nicht heimkehrte, war seine Frau sehr besorgt geworden und
hatte sich endlich heute um drei nachmittags in Begleitung ihres Knechtes und des großen
Schlächterhundes auf den Weg gemacht. Beim Juden Salomon wußte man nichts von Aaron;
er war gar nicht da gewesen. Nun waren sie zu allen Bauern gegangen, von denen sie wußten,
daß Aaron einen Handel mit ihnen im Auge hatte. Nur zwei hatten ihn gesehen, und zwar an
demselben Tage, an welchem er ausgegangen. Es war darüber sehr spät geworden. Die große
Angst trieb das Weib nach Haus, wo sie ihren Mann wiederzufinden eine schwache Hoffnung
nährte. So waren sie im Brederholz vom Gewitter überfallen worden und hatten unter einer
großen am Berghange stehenden Buche Schutz gesucht; der Hund hatte unterdessen auf eine
auffallende Weise umhergestöbert und sich endlich, trotz allem Locken, im Walde verlaufen.
Mit einemmale sieht die Frau beim Leuchten des Blitzes etwas Weißes neben sich im Moose. Es
ist der Stab ihres Mannes, und fast im selben Augenblicke bricht der Hund durchs Gebüsch und
trägt etwas im Maule: es ist der Schuh ihres Mannes. Nicht lange, so ist in einem mit dürrem
Laube gefüllten Graben der Leichnam des Juden gefunden. Dies war die Angabe des Knechtes,
von der Frau nur im allgemeinen unterstützt; ihre übergroße Spannung hatte nachgelassen,
und sie schien jetzt halb verwirrt oder vielmehr stumpfsinnig. "Aug um Auge, Zahn um Zahn!"
dies waren die einzigen Worte, die sie zuweilen hervorstieß.
In derselben Nacht noch wurden die Schützen aufgeboten, um Friedrich zu verhaften. Der An-
klage bedurfte es nicht, da Herr von S. selbst Zeuge eines Auftritts gewesen war, der den
dringendsten Verdacht auf ihn werfen mußte; zudem die Gespenstergeschichte von jenem
Abende, das Aneinanderschlagen der Stäbe im Brederholz, der Schrei aus der Höhe. Da der
Amtsschreiber gerade abwesend war, so betrieb Herr von S. selbst alles rascher, als sonst ge-
schehen wäre. Dennoch begann die Dämmerung bereits anzubrechen, bevor die Schützen so
geräuschlos wie möglich das Haus der armen Margreth umstellt hatten. Der Gutsherr selber
pochte an; es währte kaum eine Minute, bis geöffnet ward und Margreth völlig gekleidet in der
Türe erschien. Herr von S. fuhr zurück; er hätte sie fast nicht erkannt, so blaß und steinern
sah sie aus. "Wo ist Friedrich?" fragte er mit unsicherer Stimme. "Sucht ihn", antwortete sie
und setzte sich auf einen Stuhl. Der Gutsherr zögerte noch einen Augenblick. "Herein, herein!"
sagte er dann barsch; "worauf warten wir?" Man trat in Friedrichs Kammer. Er war nicht da,
aber das Bett noch warm. Man stieg auf den Söller, in den Keller, stieß ins Stroh, schaute hin-
ter jedes Faß, sogar in den Backofen; er war nicht da. Einige gingen in den Garten, sahen hin-
ter den Zaun und in die Apfelbäume hinauf; er war nicht zu finden. "Entwischt!" sagte der
Gutsherr mit sehr gemischten Gefühlen; der Anblick der alten Frau wirkte gewaltig auf ihn.
"Gebt den Schlüssel zu jenem Koffer." Margreth antwortete nicht. "Gebt den Schlüssel!" wie-
derholte der Gutsherr und merkte jetzt erst, daß der Schlüssel steckte. Der Inhalt des Koffers
kam zum Vorschein: des Entflohenen gute Sonntagskleider und seiner Mutter ärmlicher Staat;
dann zwei Leichenhemden mit schwarzen Bändern, das eine für einen Mann, das andere für
eine Frau gemacht. Herr von S. war tief erschüttert. Ganz zu unterst auf dem Boden des Kof-
fers lag die silberne Uhr und einige Schriften von sehr leserlicher Hand; eine derselben von
einem Manne unterzeichnet, den man in starkem Verdacht der Verbindung mit den Holzfrev-
lern hatte. Herr von S. nahm sie mit zur Durchsicht, und man verließ das Haus, ohne daß Mar-
greth ein anderes Lebenszeichen von sich gegeben hätte, als daß sie unaufhörlich die Lippen
nagte und mit den Augen zwinkerte.
Literatur Online: Kunstguerilla for Freewarez am: 11.10.2000
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Annette von Droste-Hülshoff (1779-1848)
Die Judenbuche
Im Schlosse angelangt, fand der Gutsherr den Amtsschreiber, der schon am vorigen Abend
heimgekommen war und behauptete, die ganze Geschichte verschlafen zu haben, da der gnä-
dige Herr nicht nach
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