Die Judenbuche
Bewußtsein anführte, als er seinen Sitz in der
Gerichtsstube einnahm. Die Zurückgebliebenen horchten sorglos dem allmählichen Verhallten
des Knarrens und Stoßens der Räder in den Hohlwegen und schliefen sacht weiter. Ein gele-
gentlicher Schuß, ein schwacher Schrei ließen wohl einmal eine junge Frau oder Braut auffah-
ren; kein anderer achtete darauf. Beim ersten Morgengrauen kehrte der Zug ebenso schwei-
gend heim, die Gesichter glühend wie Erz, hier und dort einer mit verbundenem Kopf, was wei-
ter nicht in Betracht kam, und nach ein paar Stunden war die Umgegend voll von Mißgeschick
eines oder mehrerer Forstbeamten, die aus dem Walde getragen wurden, zerschlagen, mit
Schnupftabak geblendet und für einige Zeit unfähig, ihrem Berufe nachzukommen.
In dieser Umgebung ward Friedrich Mergel geboren, in einem Haus, das durch die stolze Zuga-
be eines Rauchfangs und minder kleiner Glasscheiben die Ansprüche seines Erbauers sowie
durch seine gegenwärtige Verkommenheit die kümmerlichen Umstände des jetzigen Besitzers
bezeugte. Das frühere Geländer um Hof und Garten war einem vernachlässigten Zaune gewi-
chen, das Dach schadhaft, fremdes Vieh weidete auf den Triften, fremdes Korn wuchs auf dem
Acker zunächst am Hofe, und der Garten enthielt, außer ein paar holzichten Rosenstöcken aus
besserer Zeit, mehr Unkraut als Kraut. Freilich hatten Unglücksfälle manches hiervon herbeige-
führt; doch war auch viel Unordnung und böse Wirtschaft im Spiel. Friedrichs Vater, der alte
Hermann Mergel, war in seinem Junggesellenstande ein sogenannter ordentlicher Säufer, das
heißt einer, der nur an Sonn- und Feiertagen in der Rinne lag und die Woche hindurch so ma-
nierlich war wie ein anderer. So war denn auch seine Bewerbung um ein recht hübsches und
wohlhabendes Mädchen ihm nicht erschwert. Auf der Hochzeit ging es lustig zu. Mergel war gar
nicht so arg betrunken, und die Eltern der Braut gingen abends vergnügt heim; aber am näch-
sten Sonntag sah man die Frau schreiend und blutrünstig durchs Dorf zu den Ihrigen rennen,
alle ihre guten Kleider und neues Hausgerät im Stich lassend. Das war freilich ein großer
Skandal und Ärger für Mergel, der allerdings Trostes bedurfte. So war denn auch am Nachmit-
tage keine Scheibe an seinem Hause mehr ganz, und man sah ihn noch bis spät in die Nacht
vor der Türschwelle liegen, einen abgebrochenen Flaschenhals von Zeit zu Zeit zum Munde
führen und sich Gesicht und Hände jämmerlich zerschneidend. Die junge Frau blieb bei ihren
Eltern, wo sie bald verkümmerte und starb. Ob nun den Mergel die Reue quälte oder Scham,
genug, er schien der Trostmittel immer bedürftiger und fing bald an, den gänzlich verkomme-
nen Subjekten zugezählt zu werden
Die Wirtschaft verfiel; fremde Mägde brachten Schimpf und Schande; so verging Jahr auf Jahr.
Mergel war und blieb ein verlegener und zuletzt ziemlich armseliger Witwer, bis er mit einem-
male wieder als Bräutigam auftrat. War die Sache an und für sich unerwartet, so trug die Per-
sönlichkeit der Braut noch dazu bei, die Verwunderung zu erhöhen. Margreth Semmler war
eine brave, anständige Person, so in den Vierzigern, in ihrer Jugend eine Dorfschönheit und
noch jetzt als sehr klug und wirtlich geachtet, dabei nicht unvermögend; und so mußte es je-
dem unbegreiflich sein, was sie zu diesem Schritte getrieben. Wir glauben den Grund eben in
dieser ihrer selbstbewußten Vollkommenheit zu finden. Am Abend vor ihrer Hochzeit soll sie
gesagt haben: "Eine Frau, die von ihrem Manne übel behandelt wird, ist dumm oder taugt
nicht: wenns mir so schlecht geht, so sagt, es liege an mir." Der Erfolg zeigte leider, daß sie
ihre Kräfte überschätzt hatte. Anfangs imponierte sie ihrem Manne; er kam nicht nach Hause
oder kroch in die Scheune, wenn er sich übernommen hatte; aber das Joch war zu drückend,
um lange getragen zu werden, und bald sah man ihn oft genug quer über die Gasse ins Haus
taumeln, hörte drinnen sein wüstes Lärmen und sah Margreth eilends Tür und Fenster schlie-
ßen. An einem solchem Tage - keinem Sonntage mehr - sah man sie abends aus dem Hause
stürzen, ohne Haube und Halstuch, das Haar wild um den Kopf hängend, sich im Garten neben
ein Krautbeet niederwerfen und die Erde mit den Händen aufwühlen, dann ängstlich um sich
schauen, rasch ein Bündel Kräuter brechen und damit langsam wieder dem Hause zugehen,
aber nicht hinein, sondern in die Scheune. Es
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