Die Judenbuche
nach, wie sie
fortschritten, Simon voran, mit seinem Gesicht die Luft durchschneidend, während ihm die
Schöße des roten Rocks wie Feuerflammen nachzogen. So hatte er ziemlich das Ansehen eines
feurigen Mannes, der unter dem gestohlenen Sacke büßt; Friedrich ihm nach, fein und schlank
für sein Alter, mit zarten, fast edlen Zügen und langen, blonden Locken, die besser gepflegt
waren, als sein übriges Äußere erwarten ließ; übrigens zerlumpt, sonnenverbrannt und mit
einer gewissen rohen Melancholie in den Zügen. Dennoch war eine große Familienähnlichkeit
beider nicht zu verkennen, und wie Friedrich so langsam seinem Führer nachtrat, die Blicke
fest auf denselben geheftet, der ihn gerade durch das Seltsame seiner Erscheinung anzog, er-
Literatur Online: Kunstguerilla for Freewarez am: 11.10.2000
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Annette von Droste-Hülshoff (1779-1848)
Die Judenbuche
innerte er unwillkürlich an jemand, der in einem Zauberspiegel das Bild seiner Zukunft mit ver-
störter Aufmerksamkeit betrachtete.
Jetzt nahten die beiden sich der Stelle des Teutoburger Waldes, wo das Brederholz den Abhang
des Gebirges niedersteigt und einen sehr dunkeln Grund ausfüllt. Bis jetzt war wenig gespro-
chen worden. Simon schien nachdenkend, der Knabe zerstreut, und beide keuchten unter ihren
Säcken. Plötzlich fragte Simon: "Trinkst du gern Branntwein?" - Der Knabe antwortete nicht.
"Ich frage, trinkst du gern Branntwein? Gibt dir die Mutter zuweilen welchen?" - "Die Mutter
hat selbst keinen", sagte Friedrich. - "So, so, desto besser! - Kennst du das Holz da vor uns?" -
"Das ist das Brederholz." - "Weißt du auch, was darin vorgefallen ist?" - Friedrich schwieg. Indessen kamen sie der düsteren Schlucht immer näher. "Betet die Mutter immer noch so viel?"
hob Simon wieder an. - "Ja, jeden Abend zwei Rosenkränze." - "So? Und du betest mit?" - Der
Knabe lachte halbverlegen mit einem durchtriebenen Seitenblick. - "Die Mutter betet in der
Dämmerung vor dem Essen den einen Rosenkranz, dann bin ich meist noch nicht wieder da
mit den Kühen, und den anderen im Bette, dann schlafe ich gewöhnlich ein." - "So, so, Gesel-
le!" - Diese letzten Worte wurden unter dem Schirme einer weiten Buche gesprochen, die den
Eingang der Schlucht überwölbte. Es war jetzt ganz finster; das erste Mondviertel stand am
Himmel, aber seine schwachen Schimmer dienten nur dazu, den Gegenständen, die sie zuwei-
len durch eine Lücke der Zweige berührten, ein fremdartiges Aussehen zu geben. Friedrich
hielt sich dicht hinter seinem Ohm; sein Odem ging schnell, und wer seine Züge hätte unter-
scheiden können, würde den Ausdruck einer ungeheuren, doch mehr phantastischen als
furchtsamen Spannung darin wahrgenommen haben. So schritten beide rüstig voran, Simon
mit dem festen Schritt des abgehärteten Wanderers, Friedrich schwankend und wie im Traum.
Es kam ihm vor, als ob alles sich bewegte und die Bäume in den einzelnen Mondstrahlen bald
zusammen, bald voneinander schwankten. Baumwurzeln und schlüpfrige Stellen, wo sich das
Regenwasser gesammelt, machten seinen Schritt unsicher; er war einige Male nahe daran, zu
fallen. Jetzt schien sich in einiger Entfernung das Dunkel zu brechen, und bald traten beide in
eine ziemlich große Lichtung. Der Mond schien klar herein und zeigte, daß hier noch vor kur-
zem die Axt unbarmherzig gewütet hatte. Überall ragten Baumstümpfe hervor, manche meh-
rere Fuß über der Erde, wie sie gerade in der Eile am bequemsten zu durchschneiden gewesen
waren; die verpönte Arbeit mußte unversehens unterbrochen worden sein, denn eine Buche
lag quer über dem Pfad, in vollem Laube, ihre Zweige hoch über sich streckend und im Nacht-
winde mit den noch frischen Blättern zitternd. Simon blieb einen Moment stehen und betrach-
tete den gefällten Stamm mit Aufmerksamkeit. In der Mitte der Lichtung stand eine alte Eiche,
mehr breit als hoch; ein blasser Strahl, der durch die Zweige auf ihren Stamm fiel, zeigte, daß
er hohl sei, was ihn wahrscheinlich von der allgemeinen Zerstörung geschützt hatte. Hier er-
griff Simon plötzlich des Knaben Arm. "Friedrich, kennst du den Baum? Das ist die breite Ei-
che." - Friedrich fuhr zusammen und klammerte sich mit kalten Händen an seinen Ohm.
"Sieh", fuhr Simon fort, "hier haben Ohm Franz und der Hülsmeyer deinen Vater gefunden, als
er in der Betrunkenheit ohne Buße und Ölung zum Teufel gefahren war." - "Ohm, Ohm!"
keuchte Friedrich. - "Was
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